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Ich habe noch 100 Worte über…- Kurzrezensionen zu Kurzfilmen des 29. Filmfest Dresden

 

Frei nach dem Zitat „Entschuldigung, ich nehme mir einfach mal die Zeit, mich ausschweifend kurz zu fassen.“ entsteht hier eine Review-Revue zu Kurzfilmen des 29. Filmfest Dresden. Nein, philosophischer Quatsch. Die Wortanzahl wurde zum 1.April gesetzlich-literarisch reglementiert. So stehen Kurzrezensionen nach neuster Definition nur noch 100 Worte zu. Und der Übrigkeit ist Folge zu leisten.

 

Limbo – Regie: Konstantina Kotzamani. Frankreich/Griechenland. 2016.

Zwölf Jungen, ein Walkadaver und ein mysteriöser, weißer Junge. Eine dystopische Kulisse aus Wasser, Schlamm, Gras und Pfahlhäusern. Bläulich-düstere Farbgebung. Nebel. Einstellungen konstruiert wie Gemälde. Nahaufnahmen ausdrucksstarker Gesichter. Verlorenheit erzeugt durch einsam positionierte Kinder und Landschaften am unteren Bildkader. Wenig Worte, viel Unbehagen. Flüstern. Raunen. Ängstliche Blicke in die Ferne, vorbei am Zuschauer. Ziehender Sound. Spärliche Requisiten. Keine Erwachsenen. Keine Mädchen. Marienverehrung und Glaube. Ist der weiße Junge tot oder lebendig? Kann er die Jungen zum geheimnsivollen, verwesenden Wal führen? Ein Film, der atmosphärisch fesselt und sowohl dramaturgisch, schauspielerisch als auch kamera- und soundtechnisch fasziniert. Für Fans mysthisch, bildgewaltiger Geschichten.

 

 

 

Elisa – Regie: Kristina Kean Shtubert. Deutschland. 2016.

Ein zartes, blondes Mädchen, eine zarte, blonde Mutter. Liebevoll. Verspielt. Abrupt: „Hast du gekratzt?“ – „Das war nicht ich!“ Eine harte blonde Mutter. Unterbrochene Liebe. Ein Vertrauensbruch. Gegenseitig. Elisa soll es lassen. Elisa will die Mutter nicht lassen. Ab ins Bett. Schlafenszeit. Tür zu. Fesseln gegen den Kratzkampf. Gedanklich und physisch. Doch im Kratztraum taucht Elisas Gegenspielzwilling wieder auf, erstickt Elisas Ängste. Ein zartes, blondes, braves Mädchen und eine zarte, blonde, zufriedene Mutter verlassen die Wohnung am nächsten Morgen. Elisa bleibt zurück. Zurück mit ihren Problemen. Pastellfarbene, reine Kulissen treffen auf dunkle, psychische Belastungen. Kaum Worte. Viele Fragen. Gänsehaut pur.

 

 

 

Freibadsinfonie – Regie: Sinje Köhler. Deutschland. 2016.

Das Freibad. Filmsinfonie in einem Satz. Form: Parallelmontage. Tempo: entspannt. Tonart: klassisch-harmonisch bis modern-sprunghaft. In den Leitmotiven: Vater und Sohn als Festigung-der-Beziehung-durch-ein-mehr-oder-weniger-gemeinsames-Erlebnis. Mädelsclique und Jungsclique als Wirren-der-spontanen-Kurzzeitliebe-im-Smartphonezeitalter. Zwei studentische Freundinnen als notwendiger Tratsch. Eine neugierige Bankbekanntschaft als penetrante und doch charmante Störung. Und ein Stammkunde als unersetzlicher Kontrollfreak und Hassliebe des Bademeisters. Melodisch begleitet von Freibadsound (Juchzen, Schreien, Planschen, Glucksen). Das Gewitter in der Rolle des erfrischenden Endes. Momentaufnahmen des Freibadalltags, die zum Schmunzeln anregen. Gefilmt in nostalgisch-melancholischem Schwarz-Weiß-Kontrast. Geistreiche Dialoge und eine gute Portion Situationskomik.

 

 

 

Import – Regie: Ena Sendijarevic. Niederlande. 2016.

Eine bosnische Familie in einem niederländischen Dorf. Der Vater richtet die Satellitenschüssel ein. Er versucht es. Dem hilfsbereiten Nachbarn gelingt es. Die Mutter putzt im Krankenhaus. Kümmert sich nebenbei um Patienten. Belebt einen wieder. Die Eltern: verhalten, unsicher. Die Kinder: ausgelassen, neugierig. Bis sie dem Zigeunerjungen auf dem Spielplatz keinen Keks geben wollen. Gerangel. Böse Blicke der anderen Kinder: „Verpisst euch in euer eigenes Land.“ Im Fernsehen: Bilder vom Krieg und Zeichentrick. Abends eine aufbauende Umarmung. Ein Film vom mühsamen Ankommen in einer fremden Umgebung. Ausdrucksstarke, überlange Einstellungen im 4:3 Format mit viel Luftraum – atmosphärische Unsicherheit, Zweifel. Kunstfilmcharakter. Beeindruckend.

 

 

 

Painting with History in a Room Filled with People with Funny Names 3 – Regie: Korakrit Arunanondchai. Thailand. 2015.

Goldener Reiter Kurzspielfilm – Internationaler Wettbewerb. Die Jury ist beeindruckt. Ich auch. Allerdings eher von den unterschiedlichen ästhetischen Wahrnehmungen. Rekonstruktion meiner Erinnerungen: Farbbekleckste Körper. Rap. Bangkok. Jeansjacken. Naturaufnahmen wie aus Reisewerbespots für spirituelle Kurzreisen. Direkte Kamerablicke. Weiche Slowmotion. Rap. Chaos. Suche den roten Faden. Finde ihn nicht. Asiatische Sprecherstimmen. Skylines. Jeeps. Wie ein Dokutrailer. Exotische Landschaften. Jeansjacken. Ich sehne das Filmende herbei. Klangspiritualität. Jeansjacken. Ungeduld. Denimrap. Ende. Ich: erleichtert. Meine Sitznachbarn: begeistert. Fazit: 1. Expanded cinema ist wohl nicht so meins. 2. Ich war vielleicht nicht in der richtigen mood für dieses Kunstwerk? 3. Die Programmzusammenstellung ist künstlerisch sehr ausgewogen.

 

 

 

Text: Birte Gemperlein

Fotos: © FILMFEST DRESDEN

 

 

 

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