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Wie man sich seines ungeliebten Nachbars entledigt – Hexenjagd im Schauspielhaus

Das Schauspielhaus läutet die Saison 2017/2018 unter seinem neuen Intendanten Joachim Klement ein. Mit dem letzten lauen Sommerlüftchen strömten am 29.09. zahlreiche Besucherinnen und Besucher in die Altstadt, um auf den Stühlen des Schauspielhauses Platz zu nehmen und für die knapp 3-stündige Vorstellung von Hexenjagd eine bequeme Sitzposition zu finden.

Wen die drei Stunden Sitzfleischtraining einschüchtern, dem sei vorweg gesagt, dass es sich durchaus lohnt. Mit Hexenjagd holt das Theater einen Klassiker zurück auf die Bühne, dem – obwohl es vor mehr als 70 Jahren geschrieben wurde – immer noch eine brisante Aktualität innewohnt. Regisseur Stephan Rottkamp inszeniert Arthur Millers Tragödie um ein kleines Dorf im amerikanischen Massachusetts Ende des 17. Jahrhunderts mit viel Fingerspitzengefühl und einem guten Gespür für das Tempo der Geschichte.

Foto: Sebastian Hoppe

Hexenjagd handelt von einer Gruppe junger Mädchen, die nachts im Wald beim Tanzen von Reverend Parris überrascht wird. In Zeiten, in denen die Puritaner die Region bevölkerten und deren Glaube an ein Leben mit harter Arbeit ohne Vergnügen bestand – ein Skandal. Als wäre der Tanz allein nicht schon Sünde genug, wacht die Tochter des Reverends aus einer scheinbar apathischen Trance nicht wieder auf. Hexerei? Der Geistliche fürchtet um seinen Ruf. Einzig seine Nichte Abigail äußert sich verhalten zu dem Vorfall. Aus Angst vor Strafe spricht sie schließlich laut aus, was ihr zuvor bereits so viele in den Mund gelegt haben: Die Mädchen wurden Opfer von Hexerei. So klagt sie zunächst drei Unschuldige an, um sich selbst vor möglichen Konsequenzen zu retten. Ihre anfängliche Angst wandelt sich zunehmends in Gefallen und sie beginnt, ihre Macht auszunutzen. Nach und nach landen immer mehr Menschen auf Geheiß Abigails im Gefängnis. Die einzige Chance auf Überleben besteht für die Angeklagten darin, zu gestehen und weitere Namen preiszugeben. Die Beschuldigung der Hexerei wird letztlich dafür missbraucht, um sich an ungeliebten Nachbarn zu rächen. Motive wie Neid, Eifersucht und Besitzgier prägen die Entscheidungen der Angeklagten. Der Zuschauer wird zum stillen Zeugen, wie eine ganze Stadt nach und nach ihren Verstand verliert. An einer Stelle des Stücks stellt der Farmer Thomas Putnam fest: „Sie wollen wissen, was in Salem los ist? Rache. Nichts als Rache.“

Foto: Sebastian Hoppe

Die Angst vor den Gefahren der Fremde ist nicht nur heute ein brisantes Thema. Als Arthur Miller das Stück 1953 schrieb, wurden in den USA Kommunisten sowie deren Befürworter rigoros verfolgt und verhaftet. In der Bevölkerung brach eine regelrechte Hysterie aus, die auch als McCarthy-Ära in die Geschichte einging, benannt nach dem damaligen US-Senator Joseph McCarthy. In Hexenjagd verarbeitet Miller die Gefühle der Angst und Hilflosigkeit sowie den gesellschaftlichen Wandel, den er zu dieser Zeit durchlebte. Der Dramatiker selbst wurde zu einem Jahr Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er sich weigerte, Namen kommunistischer Kollegen zu nennen. Das Stück basiert auf tatsächlichen Ereignissen: Ausgehend von den Gerichtsakten zu den Hexenprozessen von Salem im Jahre 1692, die ihn so stark an seine aktuelle Situation erinnerten, entwickelte Arthur Miller Figuren und Geschichte.

Dank eines gut durchdachten Bühnenbilds (Robert Schweer) sowie schlichten, darauf abgepassten Kostümen (Esther Geremus) ergibt sich ein stimmiges Bild, das es dem Zuschauer leicht macht, sich in eben jene Zeit hineinzuversetzen.

Foto: Sebastian Hoppe

Vor allem aber überzeugt das Stück durch sein starkes Ensemble: Neben altbekannten Bühnengewalten wie Ahmad Mesghara als habgierigen Farmer und Anna-Katharina Muck als von Trauer zerfressene Mutter begeistern vor allem die Neuzugänge Oliver Simon (Reverend Parris) und Ursula Hobmair als Teufel mit Engelsgesicht (Abigail Williams). Auch wenn der Sinneswandel Abigails mitunter nicht immer sofort nachvollziehbar ist, so überzeugt vor allem die intensive Darstellung der Hass-Liebe zwischen der 17-Jährigen Williams und dem etwa doppelt so alten John Proctor (Matthias Reichwald), mit dem sie einst eine unerfüllte Affäre hatte und den sie nun ins Verderben stürzt. Zwischen Hobmair und Reichwald knisterte es mitunter so stark, dass man sich Sorgen um das auf der Bühne verteilte Holz macht.

Alles in allem handelt es sich bei Hexenjagd um einen gelungenen Auftakt, der neugierig auf kommende Stücke sowie weitere Neuzugänge des Schauspielhauses macht.

Text: Nicole Cruschwitz

Fotos: Sebastian Hoppe