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FRAGILAND – Tanzperformance in Hellerau beim Festival „Shifting Realities“

Interkulturelle Tanzperformance von Jacobs, Koné, Manjate, Till – 2017

Vier ineinander verschlungene Tänzer stehen im Spot. Leicht wiegend, mit den Gesichtern einander zugewandt. Zwei Frauen. Zwei Männer. Zwei Weiße. Zwei Schwarze. Leicht tänzelnd. Vertieft. Intim. Im Einklang. Doch es dauert nicht lang und aus dieser scheinbar harmonischen Nähe und Verbundenheit wird unausgewogene Distanz. Als würde das Quartett noch versuchen das Ungleichgewicht in seinen Ursprungszustand wieder zurückzuholen, beginnen die Tänzer zu klammern, zu zerren. Es wird unruhig auf der Bühne. Ein Knäul. Ein Handgemenge. Bis sich eine Tänzerin komplett von der Gruppe lösen kann. Sie greift zum Mikrofon und richtet sich direkt an das Publikum. Im Reporterstil will sie die unruhige Situation entschlüsseln. „Here we can see three different characters. One of them feels uncomfortable.“ Es ist der weiße Mann. Was ist los mit ihm? Sie zeigt Körpereinsatz, möchte Antworten auf ihre Fragen. „He’s stressed“, erklärt die schwarze Tänzerin hektisch. Weiteres Zerren und Stoßen. Die Reporterin stürzt. Sie interpretiert das Verhalten des weißen Mannes anders: „He’s afraid.“ Willkommen in Fragiland, einer afrikanisch-europäischen Tanzperformance, die im Rahmen des zweijährigen tänzerischen Austauschprojekts „Shifting Realities“ produziert wurde.

Partnerprojekt zwischen Dresden, Düsseldorf und Toubab Dialaw (Senegal)

Das Projekt, das in Kooperation zwischen HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste Dresden, dem tanzhaus nrw Düsseldorf und dem senegalesischen Tanzzentrum  École des Sables Toubab Dialaw entstanden ist, wird von der Bundeskulturstiftung im Rahmen des Turn-Programms gefördert. „Shifting Realities“ ermöglicht künstlerischen Austausch zwischen europäischen und afrikanischen Tänzern sowie Choreografen. Die jeweils andere Tanzkultur mit ihren individuellen Produktionskontexten und Ästhetiken wird so hautnah erlebt, um abseits von einseitigen Realitätskonstrukten verbindende, interkulturelle, zeitgenössische Tanzperformances zu realisieren.

Zerreißprobe des interkulturellen Dialogs

Interkultureller Austausch findet oft einseitig statt. Das wird auch den Zuschauern von Fragiland vermittelt. „We are facing a group of almost white people to enter into a dialogue about race“, so die weiße Reporterin. Ein interaktiver, physischer Dialog ist somit notwendig. Stress kann zu einem intensiven Dialog gehören, Angst und insbesondere Zerbrechlichkeit, wie der Titel Fragiland bereits suggeriert.
Jason Jacobs aus den USA, Souleymane Ladji Koné aus Burkina Faso, Kátia Manjate aus Mosambik und Anna Till aus Deutschland lassen Gefühle in all ihren Facetten zu, um in Fragiland einander zu verstehen, sich selbst zu erklären, einander misszuverstehen, voneinander zu lernen und vor allem gemeinsam, bis zum Äußersten zu gehen und zusammen von der Zerreißprobe des interkulturellen Dialogs zu erzählen.

 

Mal gelingt eine Annäherung über Dominanz, in dem die Weißen den Schwarzen diktieren, was zu tun ist. Mal können die Schwarzen die Weißen zum Nachtanzen anleiten. Harmonie trifft auf Dominanz. Stärke auf Zerbrechlichkeit. Energiegeladene Freude auf ernsthaftige Vergangenheitsbewältigung. Gesprochene Sprache auf feinfühlige Körperlichkeit.

Echos, Vibrationen und Verzerrung

Das Sounddesign ist an diese tänzerischen Wechsel und Bewegungsstile angepasst. Mal wird mit vollem körperlichen Bodenkontakt getanz, mal leicht schwebend durch die Luft. Echos und Stimmenverzerrung, Klänge, Vibrationen, Bässe. Harmonisch pulsierende Melodien gehen über in hektisch zuckende. Mal unterstützt die Musik die Bewegungen. Mal distanziert sie sich vom Bühnengeschehen, was zu einem faszinierenden Kontrast führt.

Gemeinsam zu einem Miteinander

Schließlich präsentiert die Performance dem Zuschauer die Verschmelzung der verschiedenen Tanzformen. Es wird nicht vorgetanzt, nachgetanzt oder weggetanzt, es wird miteinander auf einer Augenhöhe getanzt. Auf dem Weg zu dieser Verschmelzung haben die Tänzer angefangen sich zu entkleiden.

 

Während die schwarze Tänzerin ihr Kleid ausgezogen hat, tragen die restlichen drei TänzerInnen ihre Hosen wie Fußfesseln um ihre Knöchel. Doch die Fesseln der postkolonialen Zwänge und Clichés hindern sie nicht daran, gemeinsam zu tanzen und zu verstehen.

„I am over.“

Das Quartett tanzt ausgelassen miteinander. Zu viert und zu zweit im Wechsel. Dann greift die schwarze Tänzerin zu einem Stiefel, platziert ihn auf ihrem Kopf und beginnt zu tanzen und zu erzählen. Die ganze Zeit balanciert sie den Stiefel, der als Sinnbild für Unterdrückung und Last steht. Einige Szenen zuvor hat sie auf die Frage „Where are you from?“ bereits mit „War.“ geantwortet. Nun greift sie die Thematik erneut auf: „I am over because I lost my feet. I lost my legs during the war. […] I am over, because I lost the war. I lost my country. I lost my president. I lost my identity during the war. I lost my father. I lost my friends during the war. […] My country lost my feet, lost my dancemovement. I am lost. My dress lost my dance. My dance lost my identity. I am over.“ So wechselt die Performance wieder einmal aus ihrer soeben noch dargebotenen kollaborativen Unbeschwertheit in die individuelle Zerbrechlichkeit. Die Suche nach Identität, ein Gefühl der Entwurzelung durch koloniale sowie postkoloniale  Machtausübungen. Tanz versteht sich so auch als Abschütteln von Unterdrückung, Fremdbestimmung, Vormundschaft und  Ausdruck von Freiheit und Identität.

Zurück zum zerrenden, klammernden, stoßenden Knäul

 

 

Wurde die Tänzerin gerade noch harmonisch von ihren Mittänzern begleitet, so finden die drei nach ihrer Darbietung zum zerrenden, klammernden, stoßenden Knäul der Eingangsszene zurück. Die schwarze Tänzerin ergreift nun das Mikro: „Here we can see three different characters. One of them feels uncomfortable.“ Diesmal ist es der schwarze Tänzer. Sie möchte herausbekommen, was mit ihm los ist. Diesmal antwortet niemand. Dann wird es immer turbulenter. Arme greifen nacheinander, die Reporterin wird in das Gemenge hineingezogen. Arme schlagen um sich. Dann ein Schrei. Ein Echo. Die Scheinwerfer gehen aus. Ende. Die Vorführung ist zu Ende. Doch der kollaborative Austausch wird weitergehen. Die Tänzer haben sich wieder zusammengefunden, nachdem sie eine weitere Etappe des Austauschs durchgemacht haben. Der Dialog geht weiter. Im Dunkel der Scheinwerfer. Außerhalb des Tanzsaals. In den Köpfen der Zuschauer. Und hoffentlich im interkulturellen Dialog, auch abseits von Tanzpfaden.

Noch bis zum 11.02.2017 können Zuschauer in HELLERAU an verschiedensten tänzerischen Dialogen zwischen Afrika und Europa teilhaben. Mehr Infos unter

www.hellerau.org/shifting-realities

Text von: Birte Gemperlein
Fotos: © Stephan Floß – hellerau.org/presse/fotos/fragiland

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Derevo – Der letzte Clown auf Erden

Gespielt von Anton Adasinskiy, auf der Bühne allein in einer Mischung aus Performance, Tanz, Theater und Pantomime, doch unterstützt durch Makhina Dzhuraeva und Aleksei Popow als Außenwelt. Das Publikum Teil des Stücks, die Bühne groß und leer, wenig Requisite, der Fokus liegt auf dem Darsteller. Auf Sprache wird weitgehend verzichtet allenfalls mal eine Mischung aus Russisch und Kauderwelsch wenn er im Publikum nach Kippen fragt.

Die Sonne explodiert

Er beginnt als ein Ausgestoßener, ein Penner. In Lumpen gehüllt beobachtet er die Explosion der Sonne. Piu Piu. Um Ihre Teile wieder einzusammeln geht er den Weg durch die vierte unsichtbare Wand zwischen Publikum und Schauspieler. Die Bilder sind simpel, nicht zu verkopft, nicht zu viel Ablenkung, aber stark in der Aussage.  So muss er erst seine Lumpen ablegen, ehe er die Bühne betreten darf. Zurück bleibt unter dem Kostüm nur der Mensch, Anton, frierend. Die Wand wird durchschritten und das Stück nimmt seinen Lauf.

Traumhafte Komik zu kosmischen Klängen lässt mich zwischendrein ganz und gar die Umgebung verlieren und obgleich ich wahrnehme was auf der Bühne geschieht sind meine Gedanken tief in mir beschäftigt. Mit viel Witz, aber auch einer ordentlichen Portion Wahrheit schafft es der Mensch auf der Bühne uns daran zu erinnern, dass das Leben – so unergründlich seine Wege und Ziele auch sein mögen, alles ist was wir haben. Also mögen wir es kosten sei es nun süß oder sauer.

Nicht aufgeben!

Ein Clown sagt mehr als tausend Worte. Der letzte Clown auf Erden – einer von uns. Tief gefallen, herum geschubst, aber doch voll innerer Heiterkeit. Er gibt nicht auf und rät uns das Selbe zu tun.

Auf der Bühne sehen wir Tanz und Pantomime, er wechselt die Rollen und spielt mit sich selbst als zwei verschiedene Figuren, dann wieder rennt er weiter den ewigen Weg entlang an dessen Rand sich kleine und große Geschichten sammeln.

Jeder wird andere Aspekte des Lebens in diesem Stück für sich wieder finden,  anders interpretieren, anders fühlen. Doch die Stimmung, ja das, was dieses romantische Theater, wie Anton es auf der Pressekonferenz im Vorfeld selbst nennt, mit dem Betrachter macht, wird für alle sehr intensiv sein. Denn es geht um nichts Geringeres als das Leben, in all seinen Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Das endlose, freie Leben. Der Künstler Anton ist der Meinung, dass die Menschen ins Theater kommen, um Wunder zu sehen, die es in der Realität nicht gibt. Er erlebt auf der Bühne das, was so eigentlich nicht existiert. In der heutigen Welt in der Religionskonflike, Krieg und Blutvergießen noch viel furchtbarer geworden sind als etwa vor zehn Jahren fehlt es oft an einem – am Lachen. Der Clown mit der roten Nase ist also eine Philosophie: „Solange der Mensch lacht, macht er nichts schlechtes, solange er lacht, ist er gut.“

Die letzte Zigarette vor der Selbstentzündung auf der Flucht vor dem Teufel. Das Stück ein Auszug aus dem Leben in seiner rohen Wahrheit. Das Ende so offen wie die Zukunft. Erst nach Minuten stehen langsam Menschen auf. Das Publikum verlässt gefesselt den Saal.

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Puppentheater und Pantomime – „Harlekin” von Derevo

Der erste Gong ist bereits erklungen. Ein Puppenspieler läuft aufgeregt durch das Foyer und ruft die Besucher zusammen. Auf dem Weg in den Großen Saal komme ich an einem Flohmarkt vorbei. Hier werden Kostüme und Requisiten vergangener Vorstellungen vom Derevo Tanztheater Dresden-St. Petersburg angeboten. Die Stücke scheinen begehrt zu sein. Viel liegt nämlich nicht mehr auf den Tischen.

Ein Äffchen und ein Mini- Fahrrad

Eine große Platzauswahl habe ich nicht mehr, denn der Saal ist voll. Unter den Zuschauern
befinden sich viele Kinder, einige haben selbstgebastelte Masken auf. Kein Wunder, schließlich soll das Stück „Harlekin” von Derevo für Familien geeignet sein.harlekin

Künstlerischer Leiter ist Anton Adasinskiy. Selbiger ist auf der Bühne zu sehen, ebenso wie Elena Yarovaya und Makhina Dzhuraeva. Gemeinsam erzählen sie die Geschichte des unglücklich verliebten Harlekins, dessen Leben trotzdem weitergehen muss.

Zu Beginn der Vorstellung macht der Puppenspieler ein paar Späße mit dem Publikum und sorgt somit für eine lustige Theateratmosphäre. Das Bühnenbild besteht aus einem Vorhang und Flickenstoff. Dies, sowie Handpuppen, ein Äffchen auf einem Mini-Fahrrad, ein Stoffkrokodil oder eine Schaukel erinnern an Kasperletheater und Wanderzirkus.

Herzschmerz

 

Es wird mit Mandoline, Tamburin und Drehorgel gespielt. Doch diese verspielte Musik wechselt sich mit fast düsteren Klängen ab, gerade wenn der Harlekin von seinem Leid geplagt wird. Dieser Wechsel stellt den Kontrast zwischen der äußerlich unbeschwerten Theaterwelt und den wahren Gefühlen des Harlekins gut dar. In den kummervollen Momenten verändert sich auch die Lichtstimmung. Sie wirkt kalt und man kann den Herzschmerz des Harlekins spüren. (Im wahrsten Sinne des Wortes, denn er reißt es sich aus seiner Brust).harlekin2

„Was machen die da?”

Die Kostüme sind zwar einfach, aber puppenhaft und somit eine treffende Wahl. Karomuster, Mütze und Bommeln sind charakteristisch für die Kleidung alter Puppen und der Harlekinfigur. Die Schminke verschmiert, passend zum alten ärmlichen, aber bezaubernden Theater. Geradezu niedlich sind die marionettenhaften Bewegungen. Handlungen zwischen den Charakteren wirken besonders ausdrucksstark, da sie aus einer Mischung von Tanz und Pantomime dargestellt werden. Gerade das führt zu vielen Lachern und Schmunzeln im Publikum. Die fehlende Sprache sorgt aber auch manchmal für Unklarheiten. Vor allem jüngere Zuschauer fragen öfters: „Was machen die da?”. Trotzdem kann man der Gesamthandlung auch ohne Worte gut folgen.

 

In „Harlekin” geht es um eine Liebesgeschichte, die aber kein klassisches Happy End hat. Die Besucher schauen hinter die Fassade des immer lustigen Gauklers und Gauners, sowie hinter die Kulissen des immer fröhlichen Puppentheaters. Dies macht „Harlekin” zu etwas Besonderem. Groß und Klein haben trotzdem Spaß an den verspielten Requisiten, Gesten, Schattenspielen und der allgemein liebevollen Art des Stückes. Außerdem dürfte Eines die jungen Besucher besonders gefreut haben: Nach der Aufführung durften sie selbst mit den Requisiten spielen.

Text von Gina Kauffeldt
Foto: hellerau.org/pressefotos Copyright © E. YAROVAYA, Copyright © R. Ekimow

 

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Dresden Frankfurt Dance Company

Die Redaktion Kulturgeflüster ist auch aus dem Medienworkshop Film entstanden. Hier wurde ein kleiner Dokufilm über die Dresden Frankfurt Dance Company produziert.