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Allgemein Musik

Abriss in der Messe – Marteria in Dresden

Die Masse an Menschen strömt an dem regnerischen und stürmischen Mittwochabend in die Messehalle. Bunt gemischtes Publikum jeglicher Altersklasse wartet auf den großen Auftritt. Von StudentInnen, Freundeskonstellationen mit Glühwein und Prosecco in der Hand, über ganze Familien, von der Oma bis zum 10jährigen Sprössling ist alles dabei. Support gab es von Kid Simius, doch um  kurz vor 9 ging es dann richtig los: die Lichter wackeln, die Bässe brummen und die Synthi-Sirenen schwirren. Während alle Kameras der Smartphones aufleuchten und der perfekte Kreischton gefunden wurde, hetzt das Sicherheitspersonal durch die Reihen auf ihre Plätze. Dann fällt der Vorhang und kapuzenbehängte Gestalten erscheinen auf der großen Bühne während die ersten Akkorde zu „Aliens“ ertönen. Über den MusikantInnen trohnt Marteria, aka Marten Laciny, die Arme weit ausgebreitet, der die Energie aus der Halle aufsaugt und anschließend mit gnädiger Miene die Ansage raushaut: „Der Junge aus dem Norden begrüßt Sachsen!! Seid ihr bereit für den Abriss des Jahres?“

Nach der großen Ankündigung geht es mit dem ersten Lied vom neuen Album „Roswell“ los. Auf „Endboss“ folgt „Scotty beam mich hoch“ um der Menge so richtig einzuheizen, bei „El Presidente“ ist die Stimmung dann am kochen und die Fans sind am ausrasten. Bei der starken Bühnenpräsenz, den krassen Lichteffekten und aufwendigen Videoinstallationen, fällt es auch kaum auf, dass man sich in einer unspektakulären Messehalle befindet und dass die Backgroundsängerinnen zunächst nicht unbedingt alle Töne treffen.

Die neuen Lieder sind kurzweilig und stark Ohrwurmtauglich, jedoch folgt ein Lied genauso schnell wie laut auf das andere, dass den ZuschauerInnen keine Minute Pause bleibt, was womöglich erklärt, warum bei den ruhigeren Tracks über die Kindheit in Meckpomm oder dem Lied „Louis“ für seinen Sohn, viele erst einmal die Bar oder Toiletten aufsuchen. An dieser Stelle wanderte der Ein oder andere Blick auf die Uhr am Handgelenk mit der Frage im Kopf, was wohl noch folgt.

Es folgen die Dauerbrenner aus dem alten Album, die immer wieder gut ankommen: „Marteriagirl“ und „Ich bin so schön verstrahlt“, wobei letzteres mit einer schrecklich poppigen Einlage einer Sängerin, und den aufmunternden Aufrufen zum Mitsingen, die Atmosphäre etwas an Volksfestcharakter gewann, es lauerte Mitklatschgefahr und man fühlte sich an die letzte Runde Diskofox beim Abschlussball in der 8. Klasse erinnert.

Zu Beginn des neuen Liedes „Geld“ sind aber selbst die, die in der Zwischenzeit neue Getränke geholt hatten wieder mit am rumhüpfen.

Auch Marterias Altes Ego Marsimoto wird dank Maske und verzerrter Stimme zum Leben erweckt und „Dresden leuchtet grün“  Der Nazi und das Gras ist doch auch schon relativ ausgelutscht, wird aber am Ende durch ein kleines Feuerwerk aufgepeppt.

Die drei letzten Lieder sind dann wieder in Marteria-Manier altbekannt und beliebt und bringen die Menge erneut zum eskalieren: „Oh mein Gott dieser Himmel“„Ich hab keinen Job, ich hab Langeweile“ und mit „Lila Wolken“ verabschiedet sich Marteria in den Abend, nachdem er gut 1 ½ Stunden auf der Bühne Stimmung gemacht hatte.

Fazit:

Allen wahren Marteria-Fans, die selbst Lieder des neuen Albums bereits in und auswendig kennen, wurde auf jeden Fall eine kurzweilige Show geboten, die mit allerhand Specialeffects und Visuals auftrumpfte. Als Hiphop  Fan hingegen, fragt man sich, was Marteria eigentlich noch mit  Rap zu tun hat. Für meinen persönlichen Geschmack war es viel zu poppig und der Abend wäre rein musikalisch ohne die guten Effekte eher zäh gewesen. Zudem war die Wahl der Messe als Konzertlocation leider nicht ganz gelungen. Die Akustik war zwar erstaunlicherweise in Ordnung, aber von der Organisation rund ums Konzert dann doch sehr chaotisch.

Text von Barbara Staudenmaier

Fotos von Anika Koch

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Allgemein

Kulturgeflüster kuratiert im Januar

Alle Tipps zum Nachklicken:

11. Januar Weedpecker in der Chemiefabrik 

13. Januar Workshop Firas Alshater in Hellerau 

24.Januar Suicide Boys – Reithalle

25.Januar Max Uthoff – Alter Schlachthof

27. Januar Why SL Know Plug – KONK Klub

30.Januar Mitsingzentrale in der Scheune

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Theater

Gebrüder Grimm – Ein märchenhaftes Theatererlebnis im Boulevardtheater

Wenn draußen weiße Flocken tanzen und Eisblumen die Fenster verzieren, ist mal wieder Zeit für einen Theaterbesuch.

Das Boulevardtheater lädt noch bis Ende des Jahres fast jeden Tag  auf eine Reise an den Anfang aller Märchen ein. In eine Zeit in der Frösche und Katzen noch sprechen und Bäume singen konnten und jeder Mensch noch einen lustig,verspielten Örksenknörks hatte. Im Stück sind das Wesen, die das Gute im Menschen verkörpern.  Das Publikum wird mit live performter Musik und Tanz durch die wahre Entstehungsgeschichte  der Märchen geführt.

Auch wenn die „Sandmann-Musik“ am Anfang erst an eine Inszenierung für ausschließlich kleinere Kinder erinnerte, amüsierten sich Alt und Jung wunderbar. Und auch im weiteren Verlauf des Stückes spielte Musik eine wesentliche Rolle. Mal ruhigere, gefühlvolle Lieder , mal ausgeflippte Songs mit Tanzeinlagen rissen das Publikum aus den Sitzen und ließ sogar dem Einen oder Anderen  Tränen in die Augen steigen. Und genau wie die Musik war auch die Story: mal ausgeflippt verrückt, mal gefühlvoll und verspielt.

Es geht  um Ruth Käppler (Stefanie Bock), die versucht ihren Vater zu befreien. Dabei bekommt sie  Hilfe der Brüder Jacob (Volkmar Leif Gilbert) und Wilhelm Grimm (Jonathan Heck). Zusammen müssen sie die verfressene, mürrische Bürgermeisterin Knolle (Katharina Eirich) und den ebenfalls unfreundlichen König (Andreas Köhler) davon überzeugen, dass Märchen wahr sind. Unterstützt werden die drei dabei von den Örksenknörksen (Oberörksenknörks: Christian Ludwig). Man fühlt sich fast selbst wie ein Teil des Geschehens. Und auch wenn die zuletzt genannten Figuren etwas übertrieben sind, deren charakteristische Eigenschaften etwas überzogen sind und durch einige Handlungen etwas zu sehr ausgespielt werden, nimmt man den Schauspielern das Gespielte voll ab. 

Was in der gespielten Geschichte (Regie: Olaf Becker) nur für Kinder sichtbar ist, ist bei der Darstellung für alle spürbar: die unglaubliche Magie. Die Magie, mit der die Rollen gespielt werden, die die Musik von Andreas Goldmann verspüren lässt und die in der Geschichte von Kenny Friedemann steckt.  Diese Magie steckt ebenso in dem grandiosen Bühnenbild, welches Marlies Knoblauch geschaffen hat. Angefangen bei dem fast echt wirkenden Gras auf dem Boden, dis hin zu den mit Details versehenen Gebäuden, mit bespielbaren Balkon, verzauberte das Bühnenbild das Publikum. Auch die authentischen, detaillierten Kostüme (Michael Wolf) und die Maske (Christine Palme) ließen die Inszenierung noch magischer wirken.

Mit dieser Magie verzauberte die Darstellung bereits in wenigen Tagen Hunderte und Zuschauer und wird (hoffentlich) auch in den  nächsten Tagen und  Wochen die Herzen erwärmen und weihnachtliche Stimmung verbreiten.

Bericht: Melina Israel

Fotos: Robert Jentzsch

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Tanz und Theater

„Open Grounds“ der Dresden Frankfurt Dance Company im Festspielhaus Hellerau

Am Mittwoch, dem 29.11., fand im Festspielhaus Hellerau eine Premiere der ganz besonderen Art statt. Die Dresden Frankfurt Dance Company besann sich an diesem Abend weder auf das Erbe Forsythes, noch auf die neue richtungsweisende Direktion Jacopo Godanis. Die Tänzer und Tänzerinnen der Kompanie bekamen in „Open Grounds“ die Chance, eigene Visionen und Choreographien auf die Bühne zu bringen.

Dabei ging es nicht um Perfektion oder künstlerische Brillanz, sondern einfach um das befreiende Gefühl gerade einem Menschen dabei zu zusehen, wie er genau das auf der Bühne darstellt, was er möchte. Die Tänzer und Tänzerinnen konnten für diesen Abend aus dem Schatten der Choreographien anderer heraustreten und verschwanden nicht hinter vorgegebenen Tanzschritten oder Konzepten. So strotzte jede einzelne Performance nur so vor Individualität und der Persönlichkeit des jeweiligen Tänzers/Choreographen.

Besonders hervorstechend waren die Interpretationsvielfalt und der große assoziative Spielraum, den die sieben höchst unterschiedlichen Performances boten. Im Folgenden präsentieren Luisa Trobisch und ich, Elli Kneisel, unsere ganz persönlichen Interpretationen zu „Open Grounds“ – ohne vorher Titel oder Beschreibung der Stücke gekannt zu haben. Manches erscheint vielleicht weithergeholt oder überinterpretiert, aber dies sind ganz authentisch und unbearbeitet die Assoziationen, die unser Hirn an diesem Abend hervorbrachte.

1 WHOLE von Daphne Fernberger

Elli                          Die erste Performance hat für mich das Risiko, aber auch die Wandelbarkeit von menschlichen Beziehungen thematisiert. Vor allem die Verletzlichkeit aber gleichzeitig auch Stärke, die es mit sich bringt, sich einem Menschen völlig hinzugeben. Die sanften Bewegungen, die immer wieder ineinander verschmolzen aber dann wieder auseinander drifteten, haben für mich das Auf und Ab der inneren Gefühlswelt verbildlicht. Denn die menschlichen Emotionen sind nicht linear, sondern unterstehen ständiger Veränderung.

Lui                          Der Spot richtet sich auf zwei bunt gekleidete Tänzer. Wie Tentakel bewegen sich ihre Arme, die sich um den Körper des Anderen wickeln. Beide Tänzer sind das Sinnbild für Leben. Der Tanz wird zum Ausdruck für die verrückten und plötzlichen Geschehnisse, die sich im Leben eines Jeden verbergen.

Abendzettel      „[…] Wie können wir eins und dennoch zwei und dennoch viele sein […]? Zuhören, folgen, fragen und jene Tradition der Veränderung akzeptieren, die in der großen Natur der Welt wie in all ihren Versionen kleinerer Maßstab immer anwesend ist! In der wilden Natur kann man beobachten und bewundern, wie eng verwoben Mutter Naturs unterschiedliche Systemelemente sind.“

 

2 ARE_U von Felix Berning

Elli                          Das Thema dieser Choreografie ist Einsamkeit. Die Videosequenzen zeigen einen vereinsamten gequälten Menschen – immer wieder vor dem Spiegel stehend und gezwungen sich sich selbst und den eigenen Abgründen zu stellen. Auch auf der Bühne scheint der Tänzer, eingesperrt in einem hellen Lichtkegel, einen ewigen zermürbenden Kampf mit der eigenen Psyche auszutragen. Wie ein Alter Ego betritt eine zweite Tänzerin die Bühne, doch die Einsamkeit wird dadurch nicht aufgelöst. Beide führen ihre Bewegungen in perfekter Synchronität aus – fast wie ein Spiegelbild. Die Interaktion beider wird hektischer, immer wieder tauschen sie nervöse Blicke aus und versuchen den anderen abzuschütteln. Kann man sich selbst entkommen?

Lui                          Dunkelheit. Nur der Tänzer in der Mitte der Bühne wird vom Scheinwerferlicht in helles Licht getaucht. Dazu schaurige Klaviermusik, welche ich mit der Musik eines Horrorfilmes assoziiere. Der Tanz beginnt. Durch die erdrückende Dunkelheit, die den Tänzer umgibt, vermittelt mir das Stück einen Ausdruck der Einsamkeit.  Der zweite Tänzer, der auf der Bühne erscheint, tanzt nun synchron zum anderen Tänzer. Der Tänzer schaut in seiner Einsamkeit in eine Art Spiegel und sieht nur sich selbst.

Abendzettel      „Moralische Zerrissenheit mag in vielen Köpfen omnipräsent sein, jedoch ist festzustellen, dass die heutige Gesellschaft beinahe darauf konditioniert ist, Unsicherheit, Scheitern, Trauer […] zu verstecken oder gar zu unterdrücken. Die Menschen bilden sich ein, man sei hinter einer Fassade von Unnahbarkeit und Souveränität sicher. Hier geht es um […] emotionale Sicherheit, also Schutz vor Angriffen der Persönlichkeit. […] Bedeutet eine Mauer aus falschem Selbstbewusstsein und Emotionslosigkeit jedoch wirklich Sicherheit?

 

3 DUALITY OF BOTH von Claudia Philips

Elli                          Dieses Stück thematisiert für mich die Beziehung zwischen Mensch und Natur. Mutter Natur liegt in einer Waldlandschaft verletzt am Boden und versucht sich vergeblich immer wieder aufzurappeln. Die beiden anderen Tänzer tragen jedoch eigene Konflikte untereinander aus und würdigen die am Boden liegende reglose Natur keines Blickes. Im Hintergrund sind immer wieder verzerrtes Vogelgezwitscher, brechende knarzende Eisschollen und dumpfe Unterwassergeräusche zu hören.

Lui                          Verzweigte Schatten zieren nun den Bühnenboden. Ein Mann steht und eine Frau sitzt auf der Bühne. Spinnenähnlich beginnt die Frau sich zu bewegen. Ein weiterer Tänzer erscheint auf der Bühne. Die Frau beginnt den einen, dann den anderen, zu umwerben. Beide Männer kämpfen miteinander. Am Ende steht für mich ganz klar fest: Es geht um Beziehungen. Liebesbeziehungen. Betrügen und den Kampf der Männer die Frau für sich zu gewinnen.

Abendzettel      „Im Lauf unserer Reise hier auf Erden begegnen wir allerhand Hindernissen, die wir selbst erschaffen, um uns zu befreien. Die schöne Dualität von beidem.“

 

4 CHEMICAL CREATURES von David Leonidas Thiel


Elli                          Diese verstörende elektronische Welt spiegelt für mich die Gefahren unseres digitalen Zeitalters wieder. Genau wie die Masken der Tänzer kann sich heutzutage jeder zahlreiche virtuelle Identitäten zulegen, die wenig mit der Realität gemein haben. Eine eintönige fast schon bedrohliche Bassline und eine mechanische unangenehme Klangwelt beschwören eine geistlose unmenschliche Atmosphäre herauf, in der verborgen und getäuscht wird und menschliche Emotionen durch glatte unbewegte weiße Masken ersetzt werden.

Lui                          Szenenwechsel. Ein Tänzer kauert auf dem Boden. In seinem Gesicht: Eine Maske. Der Tänzer beginnt sich zu hochfrequenter und übersteuerter Musik zu bewegen. Hier erinnert die Inszenierung an einen Horrorfilm. Dieser Tanz stellt für mich die neue virtuelle Welt dar. Jeder existiert in dieser Welt, aber dann irgendwie auch doch nicht. Jeder trägt (eine oder mehrere) Masken. Es gibt kein erkennbares „Ich“. Wer oder was ist Wirklichkeit?

Abendzettel      „Wir nehmen unsere Wirklichkeit durch rein chemische und elektromagnetische Impulse im menschlichen Gehirn wahr und verlassen uns auf die Komplexität dieser millionenfachen Reaktionen und Prozesse. Was wäre, wenn die Vorgänge nicht stattfinden würden?“

 

5 #TWOWITHTHREE von Anne Jung

Elli                          Die fünfte Performance handelt meiner Meinung nach von der Dekonstruktion traditioneller Beziehungsgefüge. Auf der Bühne waren klassische Symbole romantischer Liebe dargestellt, wie z.B. Rosenblätter, der nackte Körper in Form von hautfarbenen Kostümen und Klaviermusik. Doch statt einer Zweierbeziehung war ein Dreiergefüge zu sehen, das gut harmonierte und ausbalanciert war – Bewegungen flossen ineinander, mal dominierte der eine, mal hielt sich der andere zurück, mal bewegten sich alle drei gemeinsam im Einklang.

Lui                          Blumenblätter schmücken die Bühne. Die Bühne ist in Ihre verschiedenen Ebenen eingeteilt, auf welche sich nun drei Tänzer bewegen. Die Tänzerin allein, der Mann und die Frau, ein weiterer Mann und die Frau, beide Männer. Ich denke, es werden noch einmal Beziehungen thematisiert. Rosenkrieg? Zerbrochene Freundschaften? Ich bin ehrlich:  dieser Tanz bleibt für mich unerschlossen.

Abendzettel       „#twowiththree führt Bewegungen in einer abstrakt erzählerischen Weise zusammen, die aus der Inspiration des Liedes (hier gemeint: Sag‘ mir wo die Blumen sind) entstehen. Eine Bewegung führt zur anderen, eine Präsenz übernimmt die andere, eine Kraft übertrifft die vorhergehende und bilden zusammen ein Geflecht aus vergangenen und gegenwärtigen Möglichkeiten.“

 

6 CRISS CROSS von Ulysse Zangs

Elli                          Bei dieser Choreographie waren ein Gitarrist und ein Tänzer auf der Bühne. Dies rief bei mir sofort eine Videospielassoziation hervor. Der Tänzer bewegte sich synchron zu den Tönen der Gitarre. Dies schuf eine Art direkte Verbindung zwischen den Gliedmaßen des Tänzers und den Fingern auf den Saiten der Gitarre – eine Steuerkonsole, könnte man sagen. Die riesige Lichtröhre in der hinteren Ecke der Bühne erinnerte mich an alte Röhrenfernseher und Flimmerkisten. Ein Gitarrensolo mit einzelnem Spotlight thematisiert die Gefühlswelt und Einsamkeit des Spielers. Am Ende harmonieren beide in einer Art heilen Disco-Traumwelt – Spieler und Gespielter gemeinsam, jedoch immer noch abgewandt, distanziert, von einander.

Lui                          Eine helle Lampe steht auf dem Bühnenboden und erleuchtet einen Tänzer und einen Gitarristen. Der Tänzer beginnt sich zur Musik der Gitarre zu bewegen. Tanzend bewegt er sich auf die Leuchte zu, ihr Licht wird immer schwächer. Der Tänzer sitzt nun vor der Lampe. Schwächer: auch so werden seine Bewegungen, bis er nun auf dem Boden liegt. Die Lampe ist aus. Ja genau, es dreht sich um das Leben. Am Anfang tanzend mit voller Energie, dann innehaltend und schließlich erlöscht die Flamme des Lebens und der Protagonist stirbt/vollendet. Der Gitarrist spielt weiter auf seiner Gitarre, ein Keyboarder wird auf die Bühne geschoben, mit dem Rücken zum Publikum. Noch verrückter wird es, als eine Diskokugel an der Decke erscheint. Durch die beschwingenden Klänge der Instrumentalisten, überkommt es mich und ich beginne leise mit zu singen: „like a virgin … touched for the very first time …‘‘ Ich denke, man muss an manchen Stellen nicht seine Interpretationskünste unter Beweis stellen, sondern man kann sich auch einmal zurück lehnen und seine Ohren beschallen lassen und dabei nichts denken. Das will uns das Stück damit sagen.

Abendzettel      „Eine plötzliche Offenbarung, die uns für das Hier und Heute öffnet, die Erfahrung, dass Anfang und Ende Eins sind. Dass Kommunikation Schweigen bedeutet. Rein. Eine Idee. Ein Sinn.“

 

7 TRANSHUMAN REFLECTION von Joel Small

Elli                          Diese Performance erinnerte mich sehr stark an eine Nacht im Club, in der sich jeder in der Masse verlieren möchte, aber doch nur mit sich selbst beschäftigt ist. Die Tänzer bewegen sich zu elektronischen Beats – teilweise mit banalen Clubtanzschritten. Viele Bewegungsabfolgen sind dabei synchron – immer wieder grenzt sich ein Individuum ab, ordnet sich dann wieder der Masse unter, wird ausgeschlossen, umschlossen, eingeschlossen. Die riesigen Spiegelelemente auf der Bühne dienten dabei zur Selbstreflektion, erinnerten aber auch irgendwie an Badezimmerspiegel in einem Club, in denen man sich nach einer durchtanzten Nacht verschwitzt und außer Atem im Neonlicht betrachtet und sich fragt, was real ist und was nicht.

Lui                          Alle Tänzer stehen nun auf der Bühne, bekleidet mit skurrilen und futuristisch aussehenden Kleidungsstücken. Gemeinsam wird sich zum Takt der Musik bewegt. Die abgespielten Szenen assoziiere ich mit dem heutigen Gesellschaftssystem und der Unterdrückung des einzelnen Individuums. Es wird versucht sich zu entfalten, doch die anderen Tänzer zwingen die Protagonistin dazu, sich im Gleichschritt zu bewegen. Es gibt nun keinen der anders ist – alle sind gleich. Keiner ist einzigartig.

Abendzettel      „Lichtgestalten [kommen] aus dem Kosmos auf die Erde und bringen eine Botschaft. […] Durch Selbstreflexion und Bändigung ihres kollektiven Bewusstseins nehmen sie durch Tanz und Ritual eine andere Gestalt an. Sie entwickeln sich von der Gehbewegung über den Tanz zu einer höheren Stufe des Bewusstseins.“

Wir hoffen mit diesem Artikel konnten wir die Vielfalt und Freiheit, die zeitgenössischem Tanz innewohnt, hervorheben – und dass an diesem Abend nicht nur 7 verschiedene Stücke gezeigt, sondern hunderte verschiedene Stücke gesehen wurden.

 

Ein Artikel von Luisa Trobisch und Elisa Kneisel

Foto: Raffaele Irace

 

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Theater

„Parole Kästner!“ im Staatsschauspiel Dresden

Am Sonntag, dem 26.11.17, drängten sich die Besucher im Foyer des Kleinen Hauses 1, um die Uraufführung des Stücks „Parole Kästner!“ zu besuchen. Doch wer war dieser Kästner wirklich? Und warum konnte er sich so gut in Kinderköpfe denken und in Kinderherzen schreiben?

Das Licht geht an. Sechs kleine Erichs stehen auf der Bühne. Sie rauchen, trinken Whiskey, sinnieren über Literatur, aber stellen sich vor allen Dingen die Frage: „Wer ist Erich Kästner?“
Matthias Reichwald betritt die Bühne. Gleich von Anfang an stellt er klar, was einen an diesem Abend erwarten wird: keine sinnhaften Schwerpunkte, linearen Handlungsstränge oder ein befriedigendes Ende.
Und doch beginnt alles ganz am Anfang: in Erichs Kindheit.
Es folgt eine Art Revueabend. Kleine Blitzlichter, gespielte Szenen und stimmungsvolle Momente sind immer wieder von Reichwalds Erzählpassagen und musikalischen Einlagen am Klavier durchzogen.
Die sechs Kinderdarsteller, die für dieses Projekt gecastet wurden, harmonieren dabei wunderbar mit Reichwalds Kästner und werden mal zu seinen Spielkameraden, seinen Eltern, Affären, Dresdner Gebäuden, Nationalsozialisten.
Immer wieder entsteht eine Art Collage – Monologe überlagern sich mit Zitaten Kästners und den turbulenten Geschehnissen auf der Bühne.
Kleine gespielte Szenen geben dabei Einblicke in Kästners Leben und Gefühlswelt. Der Zuschauer bekommt an diesem Abend die Gelegenheit, einen langen Blick auf den Mann hinter dem Kultautoren zu erhaschen, ihn mal ganz privat zu erleben.
Rasant springt das Geschehen von den Problemen des Kästnerschen Elternhauses, zu seinen Studentenjahren, über beide Weltkriege, den Nationalsozialismus bis hin zu seinem Lebensabend.
Auch das Bühnenbild verändert sich ständig und wird zum Kinderzimmer, Kriegsschauplatz und schließlich zu Kästners Altersstube.
„Parole Kästner!“ bleibt aber nicht beim rein banalen „Abklappern“ Kästners Lebenslaufes, sondern wird zu einem Stück Dresden- bzw. Menschheitsgeschichte. Es handelt von Heldentum, Krieg, Mut, Politik und einem Humoristen, der sein ganzes Leben gegen die Trägheit des Geistes anschrieb.

Dieser Revueabend ist unterhaltsam und bewegend und schafft es den Großteil der Zeit, das Publikum zu fesseln und mitzureißen.
„Parole Kästner!“ inszeniert den Autor als ein Kind aber auch ironischen Kritiker seiner Zeit, die von Katastrophen, politischer Umwälzung und den menschlichen Abgründen geprägt war. Und es zeigt sich auch, dass das Vermögen sich in Kinder hineinzuversetzen, wenig damit zu tun hat, wie gut man im echten Leben mit ihnen umgehen kann, sondern inwieweit man sich trotz entbehrlicher Zeiten das innere Kind und dessen Imagination bewahren konnte.

 

Ein Artikel von Elisa Kneisel
Illustrationen von Elisa Kneisel
Foto: Sebastian Hoppe
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Kulturgeflüster kuratiert im Dezember

Die Highlights im Dezember zum Nachklicken:

Sonderausstellung „Das Gesicht“ im Hygienemuseum

1.Dezember ++ Gebrüder Grimm im Boulevardtheater

2. Dezember Lesung „Stadtluft“ im Societätstheater

2.Dezember Hundreds in der Schauburg

7. Dezember Meute im Beatpol

8. Dezember Johnossi im Beatpol

8. und 9. Dezember Peeping Tom im EKZ Hellerau

9. Dezember Gurr in der Groovestation

13.Dezember Marteria in der Messe

 

 

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Kulturgeflüster kuratiert – Unsere Kulturtipps für den November

Hier kannst du dich zu den Kulturtipps klicken

7. November Marcus Miller bei den Jazztagen

10. November Shantel & The Bucovina Orkestar in der Scheune

11. November Die Lange Nacht im Europäischen Zentrum der Künste,  Hellerau

11. November Ansa Sauermann in der Scheune

11./12. November Medienfestival in den Technischen Sammlungen

15. November Big Band in den Werkstätten in Hellerau

16.November Bukahara in der Scheune

18. November Emil Bulls – Alter Schlachthof

25. November Kleinkunstbühne „brainSWAP“ in der Georgienstraße 2

26. November Das Weihnachtsspecial im projekttheater mit dem Theater der TU die bühne

26. November Premiere Parole Kästner im Staatsschauspiel Dresden

 

 

 

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Allgemein Musik

Ein Heimspiel- Ansa Sauermann in der Scheune

Man muss schon sagen, dass er sich ganz schön Zeit gelassen hat, um auf die Bühne zu kommen. Aber es gab ja eine Bar und David Jonathan, der als Support die Band unterstützt hat. Alles in allem ist die Scheune auch mehr für die kleinen, gemütlichen und familiären Konzerte gedacht, denn nur circa 150 Menschen eskalierten dann gegen 22 Uhr völlig, als endlich Ansa und seine fantastische Band die Bühne betraten und mit „Der Teufel lebt“ begonnen haben.

Gleich beim ersten Lied fällt mir auf, dass ich die Vibration vom Bass durch mein Hosenbein hindurch spüren kann. Man muss auch dazu sagen, dass Ansa live wirklich genauso gut ist, wie in seinem neuen Album „Weiße Liebe“. Ich kann mir vorstellen, dass Ansa nach jedem Konzert erst mal heiser ist, sowie er sich die Seele aus dem Leib gesungen hat. Die Eskalation, als sie die Bühne betreten haben, war jedoch gar nichts gegen das, was dann abging, als sie „Reise“ zum 1. Mal gespielt haben. Alle haben zumindest beim Refrain mitgesungen. Mir persönlich gefällt ja „Reise“ auch am besten, wegen dem schnellen Rhythmus und der schönen Melodie. Passend dazu ist dann wenig später auch der Titel des Liedes Programm. Mit seinem Lied „Tanzt“  bringt er alle zum Tanzen. Dabei wurde es in der ganzen Halle ganz schön warm. Selbstverständlich haben auch alle bei meinem derzeitigen Dauerohrwurm „Geist“ mitgesungen. Der bleibt einfach im Kopf. Man muss vielleicht noch dazu sagen, dass während des eineinhalb stündigen Konzerts die Bühne in verschiedenen Farben beleuchtet wurde: Bei dem Lied „Weiße Liebe“ war beispielsweise die Bühne blau bestrahlt und bei dem Song „Julia“ rot.

Aber Ansa stellte nicht nur Lieder aus seinem neuen Album vor, sondern auch noch ein altes Lied: „Foto“. Dabei schwelgte natürlich dann das gesamte Publikum in Erinnerung und sang ganz versonnen mit. Manche Lieder waren mir unbekannt. Wie zum Beispiel „So weit“, was ich gestern zum ersten Mal gehört habe, obwohl die Single schon im Juli veröffentlicht wurde und das Lied auch auf dem Album „Weiße Liebe“ zu finden ist. Ich habe mich direkt in das Lied verliebt.  Am besten jedoch war, als die Band zum letzten Mal für ihre Dresdner Fans gespielt hat. Dabei haben sie wirklich nochmal alles bei ihrem Lied „Reise“ gegeben. Die Reaktion des Publikums darauf war natürlich berauschend.

Ihr werdet euch jetzt sicher vielleicht schon gefragt haben, was mich bewogen hat, auf Ansas Konzert zu gehen. Ganz einfach: Selbst in etwas rockigeren und fröhlicheren Liedern verpackt eine super tiefe Botschaft, über die man teilweise ganz schön nachdenken muss. Natürlich kommt das dann gerade erst bei seinen etwas ruhigeren Liedern am besten rüber. Diese Botschaften, die er in seinen Songs verpackt, betreffen meines Erachtens alle Altersgruppen und die Lieder auf seiner neuen CD können auch der passende Soundtrack für jede Lebenslage sein. Ansa bringt die Gefühle einfach super rüber. Mit seiner wirklich rauchigen Stimme, finde ich, macht er dann dieses Paket komplett. Es passt einfach alles zusammen. Und das schönste ist, er ist gebürtiger Dresdner, weswegen er sich natürlich in diesen Gefilden zu Hause fühlt, was man ihm Samstagabend auch wirklich angemerkt hat. Ein gelungenes Heimspiel für Ansa und seine Band und ein unvergesslicher Abend für das Publikum.

Ansa Sauermann ist noch bis Dezember auf Deutschlandtour. Hier erfahrt ihr wo ihr ihn noch sehen könnt.

Text und Fotos: Klara Grassl

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Musik

Marcus Miller bei den Jazztagen ‘17 im Erlwein Capitol

Die Jazztage rufen und auch einer Amerikas dienstältester E-Bassisten durfte am vergangenen Dienstag nicht fehlen: Marcus Miller.

Miller ist momentan auf Europa-Tour und ließ es sich dabei nicht nehmen, in Sachsens Landeshauptstadt Halt zu machen.

Der Abend begann mit Power vom 2001er Album .Entgegen des Namens war die Performance aber nicht wirklich energetisch. Einerseits waren die Instrumente schlecht gemixt, sodass ausgerechnet der Bass in den Boxen kratzte und andererseits wirkte die Band nicht wirklich warmgespielt.

Der sonst so zeitlos agile Miller schien am Bass und Mikrofon eher verhalten, was sich auch während der folgenden Stücke Highlife und B’s River nicht änderte.Erst nach Trip Trap platzte der Knoten: Der wuchtige Trip-Hop-Beat schien den Musikern die Verkrampftheit endlich auszutreiben. Die Ansagen am Mikro gingen nun auch über ein “Hello” und “The next song is … ” hinaus.

Was folgte, war ein souverän gegroovter Abend. Die Setlist setzte sich hauptsächlich aus Stücken der letzten beiden Alben Afrodeezia oder Renaissance zusammen. Bei diesen malträtierte Miller sein Instrument auf die verschiedensten Arten und Weisen –  unterstützt und begleitet von seiner Band. Trotz der Dominanz des Basses legte Miller Wert auf einen ausgeglichenen Sound und versuchte auch dem Rest der Band den Spielraum zu gewährleisten, der für eine gute Performance von Nöten war.

Denn im Gegensatz zu Victor Wooten ist Miller ein echter Teamplayer – auf der Bühne wie im Studio. Im Rahmen der Renaissance-Tour hatte Miller bereits erwähnt, dass er wieder Musik für eine gesamte Band schreiben wolle. Und diesen vollumfänglichen Blick kann man den neueren Miller-Kompositionen auch anhören. Natürlich drängt in diesen der Bass immer noch nach vorn und hat ausladende Soli, aber die anderen Instrumente sind nun gleichberechtigte Partner und nicht bloßes Beiwerk.

 

Es ist diese Homogenität im Sound, die einen Marcus-Miller-Abend immer wieder zum Vergnügen macht: Man sieht nicht nur einen der weltweit besten Jazzbassisten, sondern zugleich eine verdammt gute Band.

Ein Artikel von Robert Sittner

Fotos: Robert Sittner

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Tanz und Theater Theater

Aus dem Leben einer Appia-Bühne

Während des Festivals „Rekonstruktion der Zukunft“ (17.10.-11.11.2017) im Festspielhaus HELLERAU stand in den letzten Wochen eines im Mittelpunkt: die Bühne. Die Rekonstruktion der historischen Appia-Bühne zog tausende Besucher aus der ganzen Welt in die Gartenstadt.

In der Presse wurde sie oft als Protagonist des Festivals bezeichnet, doch was wäre, wenn sich diese Bühne äußern könnte? Welche Geschichten hätte sie zu erzählen?

Eine Personifikation auf die Spitze getrieben.
© Appias Bühnenbildentwurf  // Grafik: pleasantnet

Dies ist die Geschichte meiner Heimkehr.

Geboren wurde ich 1912 aus dem Zusammentreffen zweier Männer – Adolphe Appia und Emile-Jaques Dalcroze in der damaligen Rhytmiktanzschule in Hellerau, am Rande von Dresden.

Anfangs war ich nur ein Gedanke. Ein kleiner Funke im Kopfe meines Vaters. Der Wunsch das Theater zu einem realen Ereignis zu machen, das man erleben konnte, statt zu einer Illusion, der man sich hingab.

Zuerst kam ich als Zeichnung auf die Welt, Graphit auf großen schweren Papierbögen. 1912 dann wuchs ich zu meiner eigentlichen Größe heran und mein Vater nistete mich im großen Saal der Rhythmiktanzschule Hellerau ein und nannte mich „Rhythmischen Raum“. Ich war nicht wie all die anderen Bühnen damals, ich war nicht reich verziert, nicht vollgestellt mit Tischen, Stühlen, unechten Bäumen, pompös gekleideten Darstellern, war nicht umrahmt von Stuck oder von einem Vorhang verdeckt. Überhaupt war ich gar nicht von den Menschen getrennt, die kamen um mich zu betrachten. Sobald sie mich betraten und sich auf ihre Plätzen begaben, wurden sie ein Teil von mir und allen Geschehnissen auf mir.

Viele Menschen damals fanden mich befremdlich, seltsam und ungewöhnlich – es gab die verschiedensten Reaktionen auf mich. Ich war zu weiß, zu rein, zu abstrakt, zu minimalistisch – all diese Vorwürfe musste ich mir anhören. Das alles hat mich aber wenig gestört, da ich die ganze Zeit wusste, dass ich ins richtige Licht gesetzt wurde. Alexander von Salzmann sorgte dafür, dass ich nicht einzelnen Scheinwerfern und Leuchten geblendet wurde. Durch sein Licht konnte man mich schattenfrei in meiner Gänze erkennen, ohne dunkle unbeleuchtete Ecken, in denen die Darsteller bei Bedarf verschwinden konnten.

Hinzu kommt noch, dass ich extrem wandelbar war. All meine Glieder und Elemente ließen sich neu anordnen.

© Stephan Floß

Nachdem meine Geburt solch ein Aufsehen erregt hatte, verschwand ich nach 1912 von der Bildfläche. Keiner weiß genau, was damals mit mir geschehen ist. Doch wer glaubt, dass meine Geschichte damit endet, der hat sich gewaltig geirrt.

Ich lebte weiter. Viele Spielstätten brachten Bühnen nach meinem Vorbild auf die Welt. Jahr für Jahr verstrich und ich lebte weiter. In den Universitäten wurde von mir und meinem Vater berichtet, die Schauspielhäuser inszenierten nach meinem Abbild, die moderne Theaterwelt sprach von mir und immer wieder von mir und von den Menschen, die damals kamen um mich zu sehen – Rilke, Kafka, Van de Velde, Mann.

Schließlich als alle tot waren, die mich jemals mit eigenen Augen erblickt hatten, als ich nur noch in den Köpfen der Menschen, in widersprüchlichen Berichten und auf schwammigen Fotos und natürlich den Zeichnungen meines Vater existierte, beschloss meine Geburtsstätte mir neues Leben einzuhauchen. Die alte Rhythmiktanzschule, in deren Laboratorium der Moderne ich erdacht und ausgeklügelt worden war, war nun nach hundert Jahren zu einem Zentrum der Künste geworden. Dort wurde ich 2017 zu neuem Leben erweckt. „Rekonstruktion der Zukunft“ nannten sie meine Wiedergeburt und die Menschen kamen aus der ganzen Welt um mich zu sehen.

Mein weiteres Schicksal ist ungewiss.

© Elisa Kneisel, 2017

 

Ein Artikel von Elisa Kneisel

Fotos: Stephan Floß, Elisa Kneisel