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Der ultimative Weihnachtsfilmguide

Wir wollen den jährlichen Struggle „Welchen Weihnachtsfilm gucke ich?“ – und dann doch jedes Jahr den gleichen gucken, brechen. Dazu haben dazu wir eine Umfrage im HELLERAU-Team gemacht, welche die liebsten Weihnachtsfilme unserer Kolleg*innen sind, haben diese in der Weihnachtsspecial–Podcastfolge (https://on.soundcloud.com/6BJzzSZ3aa4kxur5A) bewertet und können euch so nun den ultimativen Weihnachtsfilm-Guide vorstellen (ja, die Reihenfolge ist nicht ganz unwichtig ;)):

Unsere Empfehlungen, die in allen Kategorien am Besten abgeschnitten haben:

❄️ Single all the way

❄️ Tatsächlich Liebe

❄️ Buddy der Weihnachtself

Filme für ein sehr weihnachtliches Gefühl

❄️ Christmas Chronicles 

❄️ Single all the way

❄️ Buddy der Weihnachtself 

❄️ Der Grinch

Kitschige Filme

❄️ Tatsächlich Liebe

❄️ Single all the way

❄️ Drei Haselnüsse für Aschenbrödel

Romantische Filme

❄️ Tatsächlich Liebe

❄️ 3 Haselnüsse für Aschenbrödel

❄️ Single all the way

❄️ Carol

❄️ Happiest Season

Witzige Filme

❄️ Der Grinch

❄️ Kevin allein zu Haus 

❄️ Buddy der Weihnachtself

❄️ Loriot – Weihnachten bei den Hoppestedts 

Filme für die ganze Familie

❄️ Klaus 

❄️ Buddy der Weihnachtself

❄️ Christmas Chronicles 

❄️ Kevin allein zu Haus 

❄️ Drei Haselnüsse für Aschenbrödel 

❄️ Der Grinch 

❄️ Single all the way 

❄️ Charles Dickens: Die Weihnachtsgeschichte

❄️ Der kleine Lord

Filme, die in HELLERAU auch gern zu Weihnachten geschaut werden

❄️ Mein Nachbar Totoro (Familie)

❄️ Stirb langsam (kontrovers, ob Weihnachtsfilm?!)

❄️ Schlaflos in Seattle (Romantik)

❄️ Gremlins – kleine Monster (Komödie)

❄️ Tage wie diese (Romantik & Kitsch)

❄️ Das letzte Einhorn (Familie)

❄️ Die 10 Gebote (Weihnachtliches Gefühl & Thema)

❄️ Herr der Ringe (Weihnachtliches Gefühl)

❄️ Charlie und die Schokoladenfabrik (Familie)

❄️ Harry Potter (Weihnachtliches Gefühl, vor allem Teil 1&4))

❄️ Die Geister die ich rief (Komödie)

Viel Freude beim Anschauen, eine besinnliche Weihnachtszeit und einen guten Start ins neue Jahr wünschen Charly, Tanita und Helene 💕

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🎙️ Kulturgeflüster als Podcast

Jetzt reinhören unter https://soundcloud.com/hellerau/sets/kulturgefluester-2024-25

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Die Welt passiert, aber wir tanzen weiter!

Zwischen Mitte November und Anfang Dezember wurde es in HELLERAU — Europäisches Zentrum der Künste laut, bunt und feministisch. Die Reihe „Tanzformen“ macht auf besondere Weise sichtbar, dass Tanz je nach kulturellem Hintergrund, Biografie oder Lebensumstand der Künstler*innen geformt werden kann und ein Mittel ist, um innere Zustände auszudrücken. Unter dem diesjährigen Titel „Empowering Bodies“ wurden künstlerische Arbeiten, denen eine widerständige Kraft innewohnt, präsentiert. Stets präsente Themen dabei sind Aufbegehren gegen gesellschaftliche oder politische Missstände, Selbstbestimmung und Emanzipation. 

Disney–Schurkin und bunter Tüll – „Shout Aloud“ von Yasmeen Godder & Dikla

Foto: Birgit Hupfeld

Den Auftakt der Reihe gestaltete die Tanz-Company um Yasmeen Godder gemeinsam mit der israelischen Sängerin DIKLA mit „Shout Aloud“. Bei diesem sehr ergreifenden Tanzstück performte Dikla ihr erstes Album „Ahava Musica“ live mit neun Musiker*innen im Großen Saal des Festspielhauses, während acht Tänzerinnen Ausdauer, Trauer, Widerstand, Ratlosigkeit und Zusammenhalt aus weiblicher Perspektive lebendig werden ließen. Aus Perspektive der Performenden war das zentrale Thema von „Shout Aloud“ Leben und das war auf alle Fälle zu spüren! 

Der Anfang gestaltete sich sehr still, das war einerseits hart auszuhalten, andererseits hat es zum „Spannungsbogen“ des Stücks beigetragen und hat die anderen Szenen nur verstärkt. Im Gegensatz zum ruhigen Anfang stand die Musik von Dikla. Diese war laut, rhythmisch und mitreißend auf allen Ebenen. Dikla sang in ihrer Muttersprache hebräisch, was das Stück zu einem sehr Persönlichen und Emotionalen machte. Es lagen zwar Übersetzungen der Lieder für das Publikum bereit, doch nur wenige haben diese aktiv genutzt. Sie alle waren in den Bann von Dikla und ihrer Musik gesogen, der dafür sorgte, dass die Zuschauer*innen, trotz Sprachbarriere, fühlten, was Dikla ausdrücken und vermitteln wollte. Zusammen mit dem unglaublich ausdruckstarken Tanz war die Botschaft des Stücks sehr deutlich, denn guter Tanz braucht keine Erklärungen. 

Die Tanzszenen lassen sich in zwei Kategorien teilen: Gruppen- und Solotanz. Die Momente, in denen allen zusammen getanzt haben, waren sehr beeindruckend, weil sie sich alle immer wieder zu einem synchronen Pulk zusammengefunden haben. Doch auch jedes Solo war einzigartig, denn fast alle Tänzerinnen standen zu einem Zeitpunkt allein im Fokus und konnten sich selbst durch den eigenen Tanzstil ausdrücken und ihre Geschichte erzählen. Genauso expressiv waren die Kostüme. Die Tänzerinnen trugen bunte Röcke und Kleider aus Tüll- bzw. Organzastoff. Diese waren schrill und neon, gleichzeitig und vielleicht auch dadurch, beeindruckend. Die Stoffe waren sehr durchsichtig, was die Tänzerinnen fast nackt erschienen ließ. Nacktheit wird in der Gesellschaft stets mit Verwundbarkeit in Verbindung gebracht, auch dies verstärkte die Botschaft des Stücks. Dikla hingegen trug zuerst ein schwarzes Kleid, was (auf positive Weise!) zusammen mit ihrer Ausstrahlung an eine Disney–Schurkin erinnerte. Schon bald zog sie sich um und trug, ähnlich wie die Tänzerinnen, ein auffälliges und ausdruckstarkes Gewand. Gemeinsam, mit dem bunten Licht, fügten sich also die Kostüme zu einem bunten und vielfältigen Abenteuer für die Augen! Besonders einfühlsam war die Unterbrechung des Stücks, die von den Performer*innen ausging. Sie sprachen das Publikum direkt an und vermittelten, dass es sich hier um einen sicheren Raum für alle handle, sich alle wohl, sicher und frei fühlen sollen. Alles sei erlaubt —sich im Sitz zu bewegen, aufzustehen, für sich selbst mitzutanzen, sogar rauszugehen und wieder reinzukommen gehe klar. Hauptsache: alle fühlen sich wohl und haben einen schönen Abend zusammen. Etwas schade, dass das Publikum zum Großteil nicht darauf reagierte, sondern trotzdem die ganze Zeit sitzen blieb und eher still das Geschehen genoss. Ein ähnliches Erlebnis berichteten auch die Performer*innen. Da sie in ihrem Heimatland sehr berühmt sind, waren sie ein so „klatschmüdes“ und schüchternes Publikum nicht gewohnt.  Trotzdem war „Shout Aloud“ von der Yasmeen Godder-Company & Dikla der perfekte, powervolle Auftakt für die Reihe „Tanzformen“! 

Konfettiregen und nackte Füße – „ZONA FRANCA“ von Alice Ripoll & Companhia Suave 

Foto: Renato Mangolin

Auf der Bühne von „ZONA FRANCA“, inszeniert von Alice Ripoll und der Companhia Suave, war bereits vor Stückbeginn viel los. Während des Einlasses war ein Teil der Performer*innen schon auf der Bühne, hat musiziert und getanzt. Das war ein schönes Willkommen, um sich direkt in das Stück einfühlen zu können. Grundlegend geht es in „ZONA FRANCA“ (zu deutsch: Freihandelszone) um das Bestreben einer jungen brasilianischen Generation nach Selbstbestimmung und Freiheit. Zwischen politischem Tumult, wirtschaftlichen Ungleichheiten, traditionellem sowie zeitgenössischem Tanz lässt das Stück die Vision einer Welt entstehen, in der alles in vollkommener Offenheit geteilt werden kann. Der Beginn des Stücks gestaltete sich dann jedoch anders als erwartet. Ohne jegliche musikalische Untermalung fingen die Tänzer*innen an, sich zu bewegen. Diese Momente der Stille – Szenen ohne Musik gab es oft – waren sehr schwer auszuhalten, haben aber die Wirkung der kraftvollen, bunten und lauten party-mäßigen Tanzszenen mit Musik absolut verstärkt. Aber ob mit oder ohne Musik, die Performer*innen haben sich durch ihre unterschiedlichen Stile so gut ausdrücken können, dass einem ein buntes Bild an Menschen und Persönlichkeiten mit sehr beeindruckenden Tanzstilen und -moves präsentiert wurde. Generell gab es unterschiedlichste Szenen — von improvisierten Solis bis hin zu choreografierten Ensemble-Tänzen war alles dabei. Gerade die synchronen Gruppenszenen waren unglaublich kraftvoll und haben schon allein beim Zugucken Spaß gemacht und zum Mitwippen angeregt, doch auch jedes Solo war für sich ausdrucksstark, intim und auf allen Ebenen — Bewegung, Botschaft und Ästhetik — interessant. Allerdings sahen die Tänzer*innen zwischen Passinho, HipHop und Twerken eher verloren aus und die Tänze wirr, das Publikum wurde mit unerwarteten Tänzen konfrontiert. 

Über den Künstler*innen hingen große Luftballons, gefüllt mit Konfetti. Diese wurden in mehreren Momenten platzen gelassen, dienten als Art „Aufwecksignal“ nach den ruhigen Szenen und der Konfettiregen jedes Mal als Überraschung und Erfreuen des Publikums. Neben den Luftballons fanden noch andere Requisiten ihren Einsatz auf der Bühne. So zum Beispiel ein rotes Fahrrad, dass an einen Lieferservice erinnerte oder ein frischer Broiler, der verspeist wurde. Das Fahrrad soll darauf aufmerksam machen, dass in Brasilien immer mehr Menschen als Fahrradkuriere arbeiten, die sogenannte „Uberisierung“ spielte schon in der Vergangenheit der Tänzer*innen eine große Rolle. In einem Interview (Loeb, Lea (o.A.): Wir wagen wieder zu träumen: https://www.theaterspektakel.ch/beitrag/interview-alice-ripoll (11.12.24)) erzählt die Choreografin Alice Ripoll, dass die Performer*innen in ihrer Kindheit Armut erlebt haben. In „ZONA FRANCA“ bekam das Publikum einen spannenden Einblick in diese Lebensrealität: die Versuche, die Langeweile durch eigene Erfindungen zu überbrücken, das Streben nach einem eigenen Ausdruck wurde durch Tanz und Theater verständlich gemacht. Das harmonische Miteinander wurde durch die letzte Szene für die Performer*innen verstärkt, für das Publikum wohl aber gebrochen. Nachdem sie ein letztes Mal zusammen getanzt haben, fingen zwei Performer*innen an, sich gegenseitig abzulecken und sich ihre nackten Gliedmaßen gegenseitig in den Mund zu stecken. Währenddessen wurden sie auf einem Wagen sehr langsam über die Bühne gerollt, wahrscheinlich um zu zeigen, dass in der Freihandelszone wirklich alles in vollkommener Offenheit geteilt wird. Diese Szene zog sich sehr lang und hat die positiven Gefühle und Stimmungen gegenüber den Tanzszenen etwas zerstört, weil alles sehr deutlich gezeigt wurde und das Publikum nicht ganz wusste, was damit anzufangen ist. Insgesamt war es ein sehr interessantes, buntes und bewegendes Stück, es hätte nur mehr (bzw. öfter) von der Energie vom Anfang, dem gemeinsamen Singen und Tanzen gebraucht, um das Publikum ganz und gar zu verzaubern. Auch ein paar der ungewohnten Anblicke, zum Beispiel das Ablecken, hätten anders inszeniert werden können, um offene Fragen in den Köpfen zu vermeiden. Aber vielleicht war es auch das Ziel? Offene Fragen zu hinterlassen, das Publikum nachdenken zu lassen? 

Nach Ende des Stücks wurde es nochmal laut, bunt und beschwingt. Am 30.11. gab es eine Party, bei der eine Performerin der Companhia Suave aufgelegt hat und alle Performer*innen die Menge zum Tanzen brachten. Nur wenige Minuten nach Stückende standen bereits ein paar der Tänzerinnen im Saal und fingen an zu rhythmischen Beats zu tanzen — mal choreografiert, mal frei. Schon bald verwandelte sich der Dalcroze–Saal in einen Dancefloor und die Energie von den Tanzszenen im Stück war auf jeden Fall auch hier zu merken. Die Menge hatte sehr viel Spaß und schon bald tanzten alle miteinander – Profis und Laien. Es war ein sehr schönes durch– und miteinander, was den „ZONA FRANCA“– Abend perfekt abrundete! 

Köpfe und dunkle Bühne – „She was a friend of someone else” von Gosia Wdowik 

Foto: Maurycy Stankiewicz

Mit “She was a friend of someone else” von der polnischen Performerin Gosia Wdowik wurde es ruhig und nachdenklich in HELLERAU. Wdowik erzählt, vor dem Hintergrund, dass Polen 2020 das Recht auf Abtreibung fast vollständig abschaffte, die Geschichte von Aktivistinnen, die sich gegen die Abschaffung der Abtreibung in Polen stark machten und immer noch tun und wie dieser Aktivismus die Frauen ausgebrannt hat. Im Mittelpunkt steht dabei die Aktivistin Agnieszka und wie sie versucht, basierend auf der Ausgabe des „STERN“ 1971, ein Projekt zu starten, um zu beweisen: Abtreibungen existieren! Schade war, dass sich die Narration sehr oberflächlich anfühlte, es fehlte Hintergrundgeschichte. Ein tieferer Einblick in das Schicksal von Agnieszka hätte dem Stück mehr Tiefe verliehen; es hätte dem Stück gutgetan. Die 3 Performer*innen auf der Bühne hatten jeweils eigene wichtige Rollen, eine eigene Perspektive. Gosia Wdowik selbst lag das Stück über nur auf einer Matratze, aus ihrem Körper stieg Rauch. Sie repräsentierte die Perspektive der ausgebrannten Aktivistin, die keine Kraft für nichts mehr hat – zusammen mit dem Rauch eine sehr einfache, aber eindrucksvolle Visualisierung eines Burnouts. Die Zweite auf der Bühne hat stets versucht, Wdowik zu motivieren, ihr beim Aufstehen zu helfen, sie aus ihrem Burnout zu befreien. Und dann gab es noch die Erzählerin, die dem Publikum verbal die Geschichte von Agnieszka und anderen Frauen vermittelte. Dabei sprach sie immer von „SIE“/“IHR“. Dieses Synonym steht für alle Frauen, die im Rahmen dieser Produktion befragt wurden, um ihnen die Anonymität zu schenken, aber trotzdem die geteilten Erfahrungen ans Licht zu bringen und laut zu werden. „She was a friend of someone else“ fand in einem sehr intimen Rahmen statt: nur 70 Zuschauer*innen hatten auf der kleinen Bühne Platz, wodurch die Performance noch sehr viel persönlicher und näher wirkte, eine eindeutig richtige Entscheidung für ein so sensibles Thema. Deswegen brauchte es auch kein aufwendiges Bühnenbild oder auffallende Requisiten — es kamen Matratzen, Decken und zwei Bildschirme zum Einsatz, nur das hat gereicht, um einen beeindruckenden Effekt zu kreieren. Auf einem der Bildschirme wurden Augen projeziert, die Gosia Wdowik die ganze Zeit eindringlich betrachteten, zu interpretieren als die Augen der Gesellschaft, die die Aktivistin stets beobachten. Auch Interviews wurden hier gezeigt. Auf dem hinteren, größeren Bildschirm wurde das Cover der besagten „STERN“-Ausgabe gezeigt und im Verlauf des Stücks mit Bildern von, für diese Performance relevanten, Frauen aktualisiert. Diese multimediale Anwendung verlieh dem Stück tiefere Ebenen und der Handlungsstrang wurde über mehrere Erzählweisen geführt. So wurde zu einigen Dialogen ein Telegram – Chat gezeigt, da Agnieszka keinen persönlichen Kontakt zu den Frauen hatte, sondern nur per Nachricht mit diesen kommunizierte. Die räumliche Distanz, die die Verwirklichung des Projekts fast unmöglich machte, wurde durch diese Narration spürbar. Generell war „She was a friend of someone else“ eine sehr ruhige und statische Performance, auf der Bühne ist nicht viel passiert, dafür wohl in den Köpfen der Zuschauer*innen. Denn dieses Stück regte sehr zum Nachdenken, zum Reinfühlen ein. Um diesen Effekt zu verstärken, lud HELLERAU zu einem Publikumsgespräch im Anschluss der Aufführung ein. Gosia Wdowik gab einen tieferen Einblick in ihre Arbeit, erzählte noch mehr zu den Hintergründen des Stücks, wie und warum dieses zu Stande kam. Trotzdem fühlte sich das Stück nicht fertig an, eher wie ein Fragment mit zu vielen Beginnen, aber ohne ein Ende. Doch tatsächlich passt dieses Gefühl zum Kampf, Abtreibung zu entkriminalisieren, denn ein sichtbares Ende im Kampf um weibliche Emanzipation und (körperliche) Selbstbestimmung gibt es noch nicht.  

Wickeltücher und tiefe Gefühle – “New Report on Giving Birth” Wen Hui und Living Dance Studio

Foto: Jörg Baumann

Mit ihrem neuesten Werk, „New Report on Giving Birth“, brachte Wen Hui im Festspielhaus HELLERAU ein Stück auf die Bühne, das gleichermaßen berührt und aufrüttelt. Diese Performance, die als Weiterentwicklung von Huis „Report on Giving Birth“ aus dem Jahr 1999 gilt, stellte eindrucksvoll die Frage, wie individuelle Entscheidungen über Mutterschaft von gesellschaftlichen, kulturellen und persönlichen Einflüssen geprägt werden. Durch eine Mischung aus politischer Schärfe und persönlicher Offenheit gelang es dem Stück, eine intime Verbindung zwischen Bühne und Publikum zu schaffen. 

Die Themen der Aufführung waren vielschichtig. Ein zentraler Fokus lag, wie im ersten Stück auch schon, auf der Ein-Kind-Politik in China und ihren tiefgreifenden Auswirkungen – von der Bevorzugung männlicher Nachkommen bis hin zu den Konsequenzen für Frauen, die sich diesen Vorgaben widersetzten. Dazu erzählte Wen Hui auch ihre eigene Geschichte: sie hat sich aufgrund der gesellschaftlichen Zwänge in China bewusst gegen eigene Kinder entschieden. Stattdessen sagte sie, dass „alle Kinder ihre Kinder“ seien. 

Dem gegenüber standen Geschichten, die die tiefgreifenden Veränderungen, die Schwangerschaft und Geburt im Leben einer Frau bewirken können, thematisierten. Eine weitere Tänzerin erzählte von der überraschenden Entdeckung ihrer Schwangerschaft durch eine Blutung, während sie in der Dusche stand. Um das Baby behalten zu können, musste die ehrgeizige Frau, die nur selten Pausen einlegt, ihr Leben umkrempeln, was sie auch schaffte. Sie gebar das Kind und ist heute leidenschaftliche Tänzerin und Mutter. Mit intensiven Bewegungen zeigte sie eindrucksvoll, wie diese neue Lebenssituation ihren Blick auf den eigenen Körper und ihre berufliche Leidenschaft veränderte. Genauso lief es auch bei den anderen Performerinnen ab: während sie ihre Geschichte erzählten, vermittelten sie ihre Gefühle durch ausdrucksstarken Tanz. 

Die Choreografie war von einer tiefen Symbolik und visuellen Intensität geprägt. Schon zu Beginn trugen die Künstlerinnen ein mit Tüchern umwickeltes Bündel um ihren Körper – symbolisch für ein Baby, für den Beginn des Lebens. Diese Tücher waren das ganze Stück über ein zentrales Motiv und wurden in vielfältigen Formen eingesetzt: Sie wurden ausgebreitet, eingerollt, an Wäscheleinen gespannt, dienten als Leinwand für Projektionen und unterstrichen die Emotionen auf einzigartige Weise. 

„New Report on Giving Birth“ ging über eine bloße Tanzperformance hinaus. Es war eine einfühlsame und zugleich kritische Auseinandersetzung mit Themen wie Mutterschaft, Selbstbestimmung und gesellschaftlichem Druck. Die Offenheit und Stärke der Performerinnen berührten das Publikum nachhaltig und regten es dazu an, über die gezeigten Geschichten und ihre eigenen Perspektiven nachzudenken. Wen Hui und ihr Ensemble schufen ein Werk, das politisch und poetisch zugleich war – ein unvergessliches Highlight und ein passender Abschluss der Tanzformen-Reihe. 

Abschließend lässt sich sagen, dass “Tanzformen. Empowering Bodies” eine Reihe an sehr wichtigen, tiefgreifenden und bewegenden Stücken war, die in jedem Fall Spaß beim Zuschauen bereitet haben und eine bunte Perspektive auf die grauen Wintermonate geschaffen hat! 

Ein Text von Charly Harazim, Tanita Gola und Helene Lindicke

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Tanz und Theater

Une tentative presque comme une autre / Ein Versuch, fast wie jeder andere auch 

Wenn man eine Veranstaltung mit Performance, Tanz, Zusammenhalt, Harmonie, Kontrast, Humor und trotzdem voller Emotionen erleben möchte, dann ist das Stück „Une tentative presque comme une autre /Ein Versuch, fast wie jeder andere auch“, im Rahmen von „Fast Forward  – Festival junger Regie 2024″ perfekt geeignet dafür.        In diesem Stück erzählen die beiden Protagonisten; Clément und Guillaume Papachristou ihre Geschichte mithilfe von Tanz, Performance und Dialogen am 16. und 17. November auf der Bühne des Festspielhauses HELLERAU. Die Geschichte von Guillaume Papachristou steht dabei im Vordergrund. Das Besondere der Beiden ist, dass sie Zwillingsbrüder sind, sich damit sehr ähneln und dennoch sehr verschieden sind. Guillaume lebt seit Geburt mit den Folgen einer Zerebralparese, einer Verletzung des Gehirns und ist daher immer mit einem Rollstuhl unterwegs.                 

Durch humorvolle und doch sehr emotionaler Dialoge der Zwillinge lernt man das Leben von Guillaume und vielen Menschen im Rollstuhl zu verstehen. Sie zeigen eine Tanzart die man sonst nirgends sieht, indem die Brüder sich aneinander über den Boden ziehen und immer wieder Blickkontakt mit dem Publikum aufbauen. und beziehen das Auch in ihren Dialogen beziehen sie das Publikum voll mit ein.

Wenn man sich dieses Stück anschaut, muss man sehr viel Lachen, während sich vielleicht die ein oder andere Träne blicken lässt.      Dies ist für mich ein großes Zeichen für die dahintersteckende Kunst, welche die Brüder erschaffen haben: sie sprechen wichtige Themen für unsere Gesellschaft an und zeigen uns die darstellende Kunst wie man sie noch nie betrachtet hat. Bis zum Schluss hatten sie das Publikum auf ihrer Seite, man könnte auch sagen sie waren verbunden mit ihnen.

Wenn man sich diese Show angeschaut hat, ist man sehr dankbar für Gesundheit und seinen individuellen Körper. Diese Show hat mich persönlich völlig überrascht und ich würde sie mir jedes Mal wieder anschauen.

Jolinda Schäfer

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Tanz und Theater

Blutige Phantasmagorien im Kleinen Haus

Einfach mal dem Gegenüber in die Fresse schlagen. Wollten das nicht alle weiblich gelesenen Personen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, schonmal machen? Wär das nicht eine anständige Antwort auf mansplaining, ungefragtes Flirten oder dick-pics?

„RAGE“ von Emilienne Flagothier bringt diese Fantasie auf die Bühne. Während des Festivals „Fast Forward – Festival für junge Regie“ spielten vier weiblich gelesene Personen aus Belgien am 14. und 15. November alltägliche Situationen im Kleinen Haus des Staatsschauspiels nach, in denen Sexismus und Sexualisierung von Männern ausgeht. Von ungefragter Penetration an der Bushaltestelle über Unwissenheit in der Küche bis hin zu einem – bestimmt liebgemeinten, aber sehr oberflächlichem Liebeslied – jeder Lebensbereich wurde abgedeckt und ich bin mir sicher, jede weiblich gelesene Person im Raum konnte mindestens eine dieser Situationen nachvollziehen. Genau  das war es, was diese Inszenierung  zu einem brillant persönlichen und emotionalem Theaterstück machte. Der Twist an der Sache? Am Ende von jeder Alltagsszene werden die blutigen Phantasmagorien (Wahrnehmungstäuschungen) der unterdrückten Perspektive ausgelebt und ein Albtraum für die männliche Perspektive zur Realität – auf verschiedenste Weise werden diese, mal mit, mal ohne sich zu wehren, umgebracht und der Sexualisierung ein Ende gesetzt. Aber Achtung, nichts für Schwache Nerven: durch realistische Live-Soundeffekte hört man Schmatzgeräusche, Prügelschläge, Schwertkämpfe sowie –wunden und Genickbrüche.

So sehr, wie wir aus dem Lachen nicht mehr rauskamen, kam ich aus dem Nachdenken nicht raus und hoffe, dass auch die männlichen Zuschauer im Raum einen ähnlichen Effekt spürten. So wollten es immerhin die Menschen auf der Bühne: dass sich bestimmte Personen angesprochen fühlen und beginnen zu reflektieren.                               

Mich beeindruckte die Professionalität der Performerinnen sehr, denn zwischen all den lustigen, peinlichen und abstrusen Szenen gab es nie einen ungeplanten Lacher auf der Bühne – ich hätte das wahrscheinlich nicht ausgehalten. Aber die Zuschauer*innen konnten trotzdem erleben, dass die vier Menschen auf der Bühne unglaublichen Spaß während des Auftritts gehabt haben müssen, das ist ein sehr wertvoller Eindruck, der mir direkt das Gefühl gegeben hat, auch gerade sehr gern auf dieser Bühne stehen zu wollen.

Neben den herausragenden Schauspielkünsten der Performerinnen wurde die Brillanz des Stücks „RAGE“ durch die Kostüme noch verstärkt. Um in wechselnder Besetzung zwischen männlich und weiblich differenzieren zu können, klebten sich die „Männer“ für die Szene Schnurrbärte auf – eine eh schon absurde Situation wurde mit minimal Aufwand so maximal absurder gestaltet – loved it! Zusätzlich zu den Klebebärten führten unsichtbare Pferde, abfliegende GLIEDmaßen und eine stets aufrechtstehende Sprachbarriere (das Stück lief auf französisch mit deutschen und englischen Übertiteln, die durch „Tschüssi“ allerdings kurz gestürzt wurde) zur absoluten Amüsiertheit des Publikums während der fast zwei Stunden Sexismus und Sexualisierung – doch eher ernste Themen.

Doch auch durch den generellen dramaturgischen Aufbau wurde das Stück ein besonderes. Am Anfang, in der Mitte und am Ende des Stücks kommunizierten die Performerinnen mit den Zuschauer*innen per Text, der auf eine Leinwand gebeamt wurde. Es war ein wirklich netter und humorvoller Bruch der nicht so leicht zu verarbeitenden Szenen. Zum Ende hin produzierten wir als Publikum zusammen mit den Menschen auf der Bühne Regen (bzw. regnerische Atmosphäre), denn schon zu Beginn des Stücks spielten die Performer*innen mit Regen- und Sturmelementen. Ein sehr schöner und emotionaler Moment, wenn alle im Raum zusammenarbeiten, um eine atemberaubende Geräuschkulisse zu schaffen.

Was ich außerdem sehr angenehm fand: keine Szene gleicht der anderen, wir wussten nie, was uns erwartet und auf eine Szene mit Strobo und lauter Musik folgte eine eher ruhige, gelassene Szene. Es war ein perfekter Mix an Szenen und Stimmungen, mit etwa 110 Minuten eine perfekte Länge, obwohl mich auch ein längeres Stück absolut nicht gestört hätte, da es so Spaß gemacht hat dabei zu sein! Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die belgische Produktion „RAGE“ ein wirklich sehr gelungenes Stück ist und ich es jedem Menschen ans Herz lege, sich es (bei Gelegenheit) anzugucken, zu lachen und nachzudenken. Ich bin noch nie so gut gelaunt aus einem Theaterstück gegangen, wie ich es bei diesem getan hab und noch kein Stück hat mir so gute Inside-jokes geschenkt! 

Helene Lindicke

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Tanz und Theater

Von Rhythmus und Verlässlichkeit

Das Festival „Young Stage“ in HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste schenkt Kindern und Jugendlichen nicht nur eine Bühne, sondern dient zugleich als Treffpunkt und Austausch­forum für junge Theater- und Tanzbegeisterte, Pädagog*innen und Künstler*innen. Unter dem Motto „shaking ground“ wurden für die diesjährige Ausgabe nach einer offenen Aus­schreibung sechs Projekte ausgewählt, die vom 05. – 09.06. im Festspielhaus Hellerau zu sehen sind. 

Darunter auch die Gruppe des Gymnasium Dresden Johannstadt mit 16 Schüler*innen, die im Rahmen einer AG, also außerhalb ihrer Schulzeit, an einer dieser Produktionen mitwirken. Anlässlich des Festivals entwickeln sie unter der Leitung von der Tänzerin und Choreografin Olimpia Scardi sowie der ausgebildeten Theaterpädagogin Kerstin Chill ein Stück, das mit großer Hingabe von der Verlässlichkeit der Rhythmen unseres Lebens erzählt. Das atmosphärische Tanzstück mit dem Titel „Change Rhythms“ setzt sich philosophisch und textlich mit Fragen auseinander wie: Wo finden sich Rhythmen in der Natur und wo in uns Menschen? Und wie lassen sie sich performativ verbinden?

Die Tänzerinnen im Alter von 11 bis 13 Jahren verfassen im Laufe des Probenprozesses eigene Texte, die von Schülerin Eli zu einem großen Ganzen zusammengefügt werden. 

Bei ihrer Recherche stießen sie auf die vier Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft, in deren Dasein und Zusammenspiel die Gruppe einige Parallelen zu (ganz) menschlichen Empfindungen sieht. Der ständige Wechsel unserer Gefühle sei auch nur eine Art Rhythmus, der umso erträglicher werde, je mehr man ihm vertraue und nicht zu lange in einer Emotion verharre.

So erhält jedes Element eine eigene Bewegungsqualität: Bei Feuer, welches hier für die Leidenschaft steht, sind es abgehackte, wippende Bewegungen und bei Luft dezente, schwebende Bewegungen hinter einer transparenten Folie. Bei dem Element Erde lassen sie sich inspirieren vom zeitgenössischen japanischen Tanztheater Butoh, welches Tänzer*innen dazu ermutigt, ohne feste Regeln oder Techniken intuitive Bewegungen zu finden und im Moment höchst präsent zu sein. 

Das Ergebnis: Eine spannende und berührende Collage, die überwiegend aus improvisierten Bewegungsabläufen besteht und einen ganz eigenen, verträumten und authentischen Charakter behält. 

Neben ihren tanzenden Mitschülerinnen sind da Noel und Liam, die sich Gedanken über die musikalische Begleitung der Choreografie gemacht und mit Schlagzeug und Klavier passende Themen erarbeitet haben. Mit ihrer Hilfe erhalten die verschiedenen Elemente nochmal zusätzlich Ausdruck und Wiedererkennungswert. Auch Kostüm- und Bühnenbild entstanden in enger Absprache mit der Gruppe. 

Wohnt man einer der Proben bei, merkt man schnell, dass “Teilhabe” für diese jungen Menschen längst kein Fremdwort mehr ist. Egal ob bei inhaltlichen oder choreografischen Entscheidungen: Allen geäußerten Meinungen wird gleichermaßen Bedeutung zugesprochen und am Ende immer ein Kompromiss gefunden. Das geschieht genauso zuverlässig wie freudvoll. Ein gemeinsames Herantasten, Ausprobieren und Weitergehen. Die eigene Sichtweise wird nicht nur sachlich offenbart, sondern je nach Wichtigkeit auch verteidigt und überarbeitet. Zustimmung wird mit wackelnden Händen gezeigt – der Gehörlosen-Gebärde für „Applaus“ –, um das Gegenüber nicht zu unterbrechen. Dieses Vorgehen macht großen Spaß und zeigt sich nicht nur in der Qualität der Proben, sondern sicher auch im Ergebnis. 

Für die meisten der Schüler*innen mag diese Art von Miteinander selbstverständlich sein. Aber als Erwachsene staunt man nicht schlecht über das Durchsetzungsvermögen einiger Beteiligten.

An diesem Gymnasium im Aufbau wird jedoch großen Wert auf Vielfalt und Flexibilität gelegt. Statt sich auf einen festen Lehransatz festzulegen, wird mit verschiedenen Methoden experimentiert, um die Schüler*innen bestmöglich auf die Herausforderungen einer modernen Welt vorzubereiten. Mit vielen Lernenden, die mehrsprachig aufgewachsen sind und deren Eltern aus verschiedenen Ländern stammen, sollte es kaum an Lebensrealitäten und Perspektiven mangeln. (Der Schultag startet 08:20 Uhr, ist von Doppelstunden sowie langen und bewegten Pausen geprägt und) neben der akademischen Bildung stehen interkulturelles Lernen, Demokratieförderung und kulturelle Bildung im Fokus. Darüber hinaus seien Eltern und Schüler*innen aufgerufen, sich aktiv am Schulgeschehen zu beteiligen und die Schule mitzugestalten, liest man auf der Website der Schule. 

Solche Momente der Selbstwirksamkeit scheinen auch in der Erarbeitungsphase des Tanzstücks einen großen Einfluss auf die Zufriedenheit mit dem eigenen Projekt zu haben. 

Eigene Ideen einfließen zu lassen und am Ende das Produkt (re-)präsentieren zu können, gebe ihnen ein gutes Gefühl, erfährt man im Gespräch mit den tanzenden Schüler*innen. Was ihnen am meisten an den Proben gefiel, sei außerdem, dass man im Nachhinein auf etwas (und zwar auf sich selbst und die Gruppe) stolz sein könne. 

Am schwierigsten sei es, die eigene Konzentration über die gesamte Probenzeit aufrecht zu erhalten. Auch das Entwickeln und Verinnerlichen eigener Choreografien habe sie schon vor große Herausforderungen gestellt. (Noch dazu käme, dass jede zweite Woche direkt vor den Tanzproben der Sportunterricht anstünde. Da fragt man sich, wo die Kinder dann noch Energie hernehmen.)

Doch den Spaß an Tanz und Bewegung haben einige von ihnen nicht erst bei diesem Projekt entdeckt. Ballett und Hip-Hop sind nur zwei der Tanzstile, die die eine oder andere schon im Verein außerhalb der Schule getanzt habe. 

Die Gruppe fusionierte für das Projekt aus den ehemaligen GTAs Tanz und Theater, wobei erstere von Olimpia Scardi und letztere von Kerstin Chill geleitet wurde. Sie schlossen sich zusammen und entwickeln arbeitsteilig mit der Großgruppe das Stück mit sowohl theatralen, performativen als auch choreografischen Elementen. 

Während mit Olimpia Scardi mit Witz und einer feinen Prise Strenge überwiegend die choreografischen Puzzleteile zusammengefügt werden, lässt Kerstin Chill ihr Know-How vom darstellenden Spiel und den Performing Arts einfließen. Ein Teil der Gruppe kennt sie schon aus den zwei Jahren GTA Theater, somit ist ihre Arbeitsweise, die auf Augenhöhe und nach demokratischen Prinzip funktioniert, hier bereits bekannt und findet erneut Anwendung. 

Dann ist es auch nicht schlimm, wenn eine Tänzerin vor lauter Schreck ihre Choreo vergisst und für ein paar Minuten auf ihre Improvisationskünste angewiesen ist. Sieht trotzdem schön aus. Und das wird ihr dann auch so gesagt. 

Am Ende der Probe ist die Luft dann buchstäblich raus. Doch Kraft für eine Diskussions- und Auswertungsrunde kann immer noch aufgebracht werden. Schließlich steht in ein paar Tagen eine Werkschau vor den anderen Schüler*innen an und dann ist bald schon der große Auftritt.

Diese Schule bietet einen passenden Raum, um sich bereits als junger Mensch darin zu üben, sich und seine Mitmenschen als mündige Personen zu begreifen, Selbstvertrauen zu stärken und Perspektiven anderer mitzudenken.

Da kommt ein solches Projekt wie ein Tanzstück natürlich sehr gelegen: Gemeinsam etwas schaffen, was noch dazu schön aussieht und klingt! Hier ist das Konzept des Festivals mehr als aufgegangen. Oder um es mit den Worten Olimpia Scardis zu sagen: „Das sind tolle Leute!“

Ein Text von Henrike Ehrhardt

„Change Rhythms“ hatte seine Uraufführung am So 09.06., 17:30 Uhr im Rahmen des Festivals „Young Stage“ in HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste. Der Text entstand in Begleitung zu den Proben.

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Allgemein Tanz und Theater Theater

Ohne Vision, keine Zukunft

Eine verbreitete Furcht aus Kindertagen ist es, seine Eltern zu verlieren. An diesem Gefühl des Verlorenseins bedient sich das Tanzstück „Labyrinth“ des choreografischen Duos Miller de Nobili, das am 29.03 im Festspielhaus Hellerau seine Premiere feierte.  

Die Lebenswege der sechs zutiefst verschiedenen Charaktere überschneiden sich in dieser surrealen Inszenierung zu einer Traumwelt. Fragmentarische Szenen finden mit scheinbar unzusammenhängenden Texten gleichzeitig auf der Bühne statt. Der Effekt: pure Verwirrung.  

Ebenso absurd ist die Breakdance-Choreografie. Fabienne Deesker und Alessandro Ottaviani winden sich umeinander, beschnuppern sich, bepicken sich wie Tauben und stoßen sich weg. Die animalische Suche nach Nähe steht im Kontrast mit höflich distanzierten Phrasen. In der Kentucky-Fried-Dreams-Filiale antwortet man der Gruppe: „Zuneigung könnt ihr euch nicht leisten.“  

Die Entfremdung, unter der die Charaktere leiden, ist erdrückend. Mithilfe des harten Scheinwerferlichts lässt Geohwan Ju die Tänzer*innen einsam in der Dunkelheit zurück, während die Musik von Gabor Halasz bedrohlich anschwillt. Das Bühnenbild von Sabine Mäder ist ebenso trostlos. Der Boden wird ihnen wortwörtlich unter den Füßen weggezogen und die drei beweglichen Spiegel verstärken die Verzerrung der zuckenden Tanzbewegungen.  

Der Traum ist die einzige Hoffnung. Gemeinsam stellt die Gruppe all ihre unerfüllten Wünsche nach. Je absurder die Fantasien, desto lauter muss das Publikum lachen. Bis der Wunsch krankhaft wird: sich aufzuhängen.  

Jedoch ist es die Realität, die krank macht. Rassismen, Sexismen und Queer-Feindlichkeit scheinen die Charaktere tagtäglich zu verfolgen. Ungeschönt werfen sie sich allzu bekannte Beleidigungen an den Kopf. Der Charakter von Nam Tran Xuan möchte einfach nur gehört werden, während Niklas Capel von Weihnachtsessen berichtet, die zu Familienprozessen werden. Provokant wird das Publikum mit feministischen Problemfragen konfrontiert: Ist die Influencerin von Natalia Vagena wirklich emanzipiert, wenn sie ihren Arsch in die Kamera hält? 

Endlose Fragen. Dunkle Aussichten. Was wird aus unserer Zukunft? Was, wenn die AfD Regierungspartei wird? 

Die Gefahr ist allgegenwärtig. Der von Alessandro Ottaviani verkörpert Anzugträger schwingt Reden, die keinen Unterschied zwischen den Worten Martin Luther Kings, Mandelas, Trumps und Hitlers machen. Bis er zum Peiniger Philipp Lehmanns wird: Liegestütze. Weiter. Weiter. Dann stellt er sich auf seinen Rücken. Der Befehl: hoch. Die Luft ist zum Zerreißen gespannt. Eine Frau aus dem Publikum ruft rein: „Es reicht! Wir haben’s verstanden.“ 

Trotz Charakterentwicklungen, die durch Kostümwechsel verdeutlicht werden, bleibt die Frage offen: Reicht es, um aus dem Labyrinth zu entkommen? Der Tanz der Künstler*innen war kreisend. Ihnen war es unmöglich aus der Wiederholung der Geschichte auszubrechen. Andererseits schickt uns der Endmonolog von Niklas Capel mit einem Appell aus dem Theatersaal: Wir alle sind Geschichten, die nur darauf warten, erzählt zu werden.  

Eine Rezension von Moon Ehrhardt

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Tanz und Theater Theater

„Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ im tjg

nach Manja Präkels ~ in einer Fassung von Nils Zapfe

Die Protagonistin Mimi wächst, getragen von einer vermeintlich idyllischen Kindheit, in der DDR auf. Ihre systemtreue Mutter prägt ihre jungen Jahre sehr, sodass Mimis Jugend von sozialistischer Pflichterfüllung getrieben ist, wobei die Frage nach dem Warum lange nicht gestellt wird. Während sie die Geschichte Ernst Thälmanns im Unterricht frei wiedergibt, unterbricht sie ein Mitschüler und versucht sie zu korrigieren. Die, durch das Gefühl ertappt worden zu sein, ausgelöste Scham, lässt sie mit Gewalt antworten. Anders als erwartet, wartet keine Bestrafung auf sie, sie wird für ihr Verhalten belohnt und ausgezeichnet, was Mimi ungewöhnlich erscheint, in ihr aber nicht den Wunsch nach Aufklärung aufkommen lässt. Kritische bis spöttische Kommentare das sozialistische System betreffend, spricht ihr Freund Oliver des Öfteren aus. Trotz dieser Reibereien entsteht zwischen den beiden eine Freundschaft, die besonders beim heimlich gemeinschaftlichen Essen von Schnapskirschen auf Familienfeiern zelebriert wird. Erste Brüche erfährt die Beziehung der beiden, als Oliver bereitwillig zusieht, wie Mimi von einer Gruppe älterer Jungs gemobbt wird. Dies hört erst auf, als Mimi selbst zur Mobberin wird und jahrelange Freunde nun mit den Schulhof-Tyrannen über Felder jagt. Auch sie, die Musterschülerin, wird wie alle anderen von dem Gefühl getrieben, nicht die Aussätzige sein zu wollen. Mit dem Alter kommt die Reflektion und sie distanziert sich von diesem Verhalten. Die Mauer fällt und alles scheint sich zu wandeln, so auch die Jugend. Mimis Umfeld scheint nur noch aus Punks und Skins zu bestehen, die sich unentwegt bekriegen, wobei die zweiteren klar die Oberhand behalten. Oliver, durch sein Umfeld beeinflusst, wird führender Teil dieser Gruppe und bekommt den Spitznamen Hitler. So stirbt Oliver für Mimi, von nun an ist er Hitler. Die Streitigkeiten der beiden Konfliktparteien schaukeln sich nach und nach so hoch, dass eine Person ihr Leben verlieren wird.

Das Stück erzählt sehr fein und authentisch die Geschichte eines Kindes, das zwischen BRD und DDR aufwächst. Mimi versteht teilweise das Verhalten ihrer Umgebung nicht, was in der Erzählung zu einer sehr neutralen Sicht der Dinge fernab von Ideologiekämpfen führt. Sie verteidigt Ernst Thälmann mit ihren Fäusten, jedoch keinesfalls aus sozialistischer Pflichterfüllung. Zudem geht das Stück auf die Macht der Gruppendynamik ein. Wie aus Freunden Feinde und aus Feinden Freunde werden und Ideologien sich, ohne zu hinterfragen, ausbreiten. Mimi ist ein Kind, das Halt in einer eigenen, selbst gesponnenen Geschichte sucht ­– rechtsextreme Tendenzen ihres Umfeldes bleiben Mimi dabei lange verborgen. Erst als ihr Jugendfreund Oliver zu „Hitler“ mutiert, fallen die Schleier der Geschichte. Nichts ist wie es vorher war. Skins gegen Punks und Ost trifft auf West.

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„Nebenan/Поруч – Unabhängige Kunst aus der Ukraine“

Europäisches Zentrum der Künste – HELLERAU

Das Festival „Nebenan/Поруч – Unabhängige Kunst aus der Ukraine“ vom 28. Juni bis zum 2. Juli 2023 bot eine faszinierende Auswahl an Performances, Konzerten, Vorträgen, Workshops und Gesprächen mit ukrainischen Künstler:innen und Wissenschaftler:innen. Die Vielfalt der Beiträge war beeindruckend und zeigte eindringlich, wie der Krieg die Biografien der Künstler:innen beeinflusst hat, sich in ihrer künstlerischen Praxis widerspiegelt und trotzdem nicht dazu geführt hat, dass sich die ukrainischen Künstler:innen klein machen – im Gegenteil!

Die Programmpunkte zeigten die Identität der Ukraine in all ihren Facetten. Sie offenbarten ihre reiche Tradition, ihre Geschichten, die popkulturellen Einflüsse und zeitgenössischen Ästhetiken. Die Darbietungen waren wie ein buntes Kaleidoskop, dass das Publikum mit seiner lebendigen und kreativen Energie mitriss.

Außerdem luden sie aktiv zum Austausch, zur Begegnung und zur Diskussion ein, wodurch wir Zuschauer:innen die Möglichkeit hatten, die Künstler:innen persönlich kennenzulernen und ihre Motivation und Leidenschaft zu verstehen.

Die Vorstellungen waren nicht nur sehenswert, sondern auch von großer Bedeutung. Sie zeigten uns die widerständige Kraft der ukrainischen zeitgenössischen Kunst, insbesondere in den Performing Arts. Angesichts des andauernden Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 war es bewegend zu erfahren, wie sich ukrainische Künstler:innen im Freiwilligendienst engagieren, als Sanitäter:innen und Soldat:innen tätig sind und ihre künstlerische Arbeit trotz der schwierigen Umstände fortsetzen. Ihr Mut und ihre Hingabe waren spürbar und inspirierend.

Besonders bemerkenswert war auch die Zusammenarbeit zwischen Künstler:innen, Initiativen und Institutionen. Das Festival schuf eine Plattform für neue kollaborative Arbeitszusammenhänge und Netzwerke, sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene. Es war inspirierend zu sehen, wie Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt zusammenkamen, um gemeinsam an Projekten zu arbeiten und Solidarität zu zeigen. Diese Vorstellungen, Begegnungen, Gespräche und Kooperationen werden uns noch lange in Erinnerung bleiben!

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Allgemein Musik Tanz und Theater Theater

„Vom Fallen und Fangen“ und vom Mutig sein

Zirkus-Theater-Festival im Societaetstheater Dresden

Türen symbolisieren eine Art Abschluss, Neuanfang, Eintritt. Wie oft am Tag öffnet man überhaupt eine Tür? Und wie oft schließt man sie? Geben uns Türen Sicherheit oder schirmen sie uns vor etwas ab?

Das Societaetstheater öffnete seine Türen beim Zirkus-Theater-Festival vom 01.-11.06.2023. Mit Kulturgeflüster haben wir uns die Stücke „Porte-a-faux“ und „Oder Doch“ angesehen und ließen uns von der Zirkuskunst inspirieren und verzaubern.

In „Oder Doch“ standen zwei Türen, welche gefährlich wackelig aussahen und man ständig Angst vor ungeplanten Unfällen hatte, in der Mitte des Raumes. Die zwei Protagonisten, Puppenspieler JARONTH und Trapezkünstler Moritz Haase, luden das Publikum ein in imaginäre Räume, Geschichten über Menschlichkeit, Beziehungen und akrobatische Höchstleistungen. Auf der Bühne entdeckte man immer wieder neue Elemente – wobei vor allem eine kleine Holzpuppe im Mittelpunkt stand, welche auf erschreckend realistische Weise zum Leben erwachte, als sie sich aus einer tristen Stoffpuppe aus dem Inneren befreite. Man hatte das Gefühl, das holzige Etwas habe einen Charakter – komisch, bestimmt, unsicher. Der kleine Kerl schaffte es, immer wieder Gelächter bei den Zuschauenden zu erzeugen, wobei einige Passagen sehr häufig wiederholt wurden, etwas einfach waren und somit wahrscheinlich nicht bei allen wackelnde Bäuche und Schenkelklopfer erzeugten. Dafür bin ich mir sicher, dass jede*r einen Moment des Staunens und der Verblüffung im Stück hatte. Spätestens als Moritz Haase auf einem Trapez inmitten der Bühne im weißen Rauch scheinbar zu schweben begann.

Gleichzeitig bewegte sich das Stück in seiner Dramaturgie ständig auf einem schmalen Grat zwischen Komik und Thriller. Beide Männer im zugeknöpften, schwarzen Anzug wechselten von romantischer Anziehung und freundschaftlicher Unterstützung zu gegenseitiger Manipulation, Kontrolle und Machtausübung. Es entwickelte sich ein Machtspiel, bei welchem der jeweils andere sich zu einer solchen Marionette wie auch die Puppe auf der Bühne entwickelte. Die einzelnen Szenen wurden allerdings oftmals wiederholt, weshalb teilweise die Spannung verloren ging und man mit den Gedanken abschweifte.

Eine zusammenhängende Geschichte, ein roter Faden, ging bei diesem Wechselspiel sowie Wiederholungen verloren und man wurde sich nach ungefähr der Hälfte des Stückes bewusst, dass man aus „Oder Doch“ mehr die Präsenz, Ästhetik, Absurdität, Körper – und Spielkunst aufnehmen kann. Regisseur Philipp Boë hat ein Stück entwickelt, welches sich lohnt, anzusehen, wenn man die pure Theater- und Akrobatikkunst versteht, ohne dabei eine Storyline zu erwarten.

„Porte-a-faux“ war zugegebenermaßen eine Vorstellung, welche wir uns ganz spontan und ungeplant angesehen haben und dementsprechend völlig erwartungsfrei und unvorbereitet in das Zirkuszelt im Alaunpark hineinstolperten. Nochmal großer Dank an das Soci, das wir diese Möglichkeit hatten. Uns wurde sogar ein Platz im Zelt zugewiesen, angeleitet von einem von der Decke schaukelnden Herren mit Taschenlampe. Unten watschelte ein Mann in einem langen Kleid und süßer Mütze herum und versuchte mit einer Mischung aus Französisch und Deutsch mit den Zuschauenden zu kommunizieren. Wenn man dem Seil der Schaukel oben an der Decke folgte, führte dieses zu einem Hocker am Holzboden, auf welchem ein langer langhaariger Mann mit verwirrtem Hundeblick saß. Als dieser versuchte, aufzustehen, schrie der von oben wie von der Tarantel gestochen, da die Schaukel nur vom Hocker gehalten wurde und gefährlich schnell absank, sobald sich der lange Mann erheben wollte. Das Gefühl, dass gleich ein fataler Unfall passieren würde, zog sich durch das gesamte Stück, weshalb permanent Spannung auf der Bühne gehalten wurde. Auch hier standen Türen im Mittelpunkt der Dramaturgie. Über sie wurde in einer erfrischend kindlichen, naiven Art und Weise philosophiert, über den Sinn gestritten und für akrobatische Kunststücke benutzt. Kaum vorstellbar, was man mit Türen alles anstellen kann und wie es möglich ist, auf zwei aneinander gelehnte Türen hochzuklettern und dabei ganz leicht zu balancieren.

Das Trio, gespielt von Simon Huggler, Luca Lombardi und Jean-David L’Hoste-Lehnherr, war unglaublich nahbar und charakteristisch. Jede Rolle wurde unfassbar gut und konsequent gespielt – da war der Mann im Kleid, welcher recht unsicher und ängstlich, gleichzeitig aber sehr präsent war und die Aufmerksamkeit oft auf sich zog, obwohl im Hintergrund in schwindelerregender Höhe der Zweite im Bunde gefährliche Kunststücke vorführte. Er war der lauteste, mutig (vielleicht manchmal etwas zu waghalsig) und beneidenswert unverkopft. Der dritte, Herr Hundeblick, ließ sich ziemlich herumschupsen, hörte aufs Wort und machte Sitz und gab Pfote, wenn die Herrchen den Befehl gaben. Naja so oder in der Art zumindest. Er begleitete das Stück mit Musik – die Instrumente waren überall versteckt und spielten teilweise wie von Zauberhand selbst. Generell hatte ich den Eindruck, dass diese Vorstellung über das übliche Zirkustheater hinausging und die Grenzen mutig und gelungen überschritten hat. Hier traf Theater, Musik, Poesie, Tragik, Komödie, Akrobatik, und ganz wichtig zu erwähnen: Magie und Zauberei, aufeinander. Das Wandertheater heißt „Théâtre Circulaire“ und schlägt seine Zelte auf Festivals, Theatern und kleinen, abgelegenen Dörfern auf. Dieser offene Bezug auf jegliches Publikum war besonders spürbar, als ich mich im Zuschauer*innenraum umsah und Menschen mit 60, staunend und mit offenen Mündern neben Kindern mit 1 Meter Größe habe sitzen sehen. Auch wenn ich ständig unruhig auf dem Stuhl hin ­– und her rutschen musste, vor lauter Angst, dass sich gleich jemand in diesen spektakulären Kunststücken, Sprüngen und Höhen ein Bein brechen würde – am Ende war es genau das, was mich im Stück so begeisterte. Ich habe selten ein so fesselndes, witziges und zutiefst menschliches Zirkusstück gesehen.

Manchmal braucht es keine multimediale Videoinstallation, 30 Spielende und aufwändige Lichtshows, um Menschen mit Zirkus und Theater zu erreichen. Die Einfachheit beider Stücke hat mich absolut überzeugt und vor allem „Porte-a-faux“ inspirierte mich, mehr Mut und Leichtsinn in mein Leben zu lassen, denn erwachsen und durchdacht zu sein verbaut uns oft große Chancen.