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Kafkas Prozess po polsku von Krystian Lupa in HELLERAU

 

„Ihr wisst, was jetzt kommt“

Mit diesem Satz gingen 5 Stunden einer faszinierenden Inszenierung des Stückes „Der Prozess“ von Franz Kafka zu Ende. 5 Stunden voller beißender Kritik und subtiler Anspielungen dargeboten von fantastischen Schauspielern.

Wer den Roman Kafkas kennt, weiß wie er endet: Mit dem Tod des Josef K. Nach Wochen oder gar Monaten, die der Prozess dauert, und bei dem er nicht weiß, welcher Schuld er überhaupt angeklagt ist, findet er den Tod durch die Hand zweier Männer. Auf dieses Ende spielt der Schlusssatz an. Doch dieses Ende, wie es im Buch geschrieben steht, hat das Theaterstück gar nicht nötig. Auch so hat der polnische Regisseur Krystian Lupa ein Stück adaptiert, welches sich auf eine besondere Art und Weise mit der Geschichte und mit dem Leben Kafkas auseinandersetzt, dabei jedoch nicht an Aktualität verliert.

Auf einer, für das Festspielhaus Hellerau, sehr realitätsnahen Bühne, welche durch Vorhänge in mehrere Teile teilbar ist, wird in drei Akten, die Geschichte des Josef K., dargestellt von Maciej Charyton, gespielt. Die Schauspieler sprechen polnisch. Die Übersetzung des Textes lässt sich auf zwei Monitoren links und rechts neben der Bühne und auf einer Leinwand über der Bühne finden. Dadurch kostet es etwas Mühe, gleichzeitig das Geschehen auf der Bühne und den Text wahrzunehmen. Doch nachdem man sich mit diesem System angefreundet hat, gelingt auch dies. Es wird mit vielen darstellerischen Mitteln gearbeitet. Neben den Stimmen der Darsteller gibt es noch zwei weitere aus dem Off. Eine auf Polnisch, die andere auf Deutsch. Gedanken und, wie es scheint, Kommentare. Zu Verwirrung hat beigetragen, dass manchmal alle Stimmen gleichzeitig sprachen und dadurch Inhalte verloren gingen. Durch eine Livecam wurden Bilderfolgen aus den nicht einsehbaren Räumen eingespielt. Andere Aufnahmen öffneten das Stück für fremde Räume und Orte.  Allerdings störten technische Probleme wie ausfallende Mikrophone und Musik zeitweise die Aufführung. Umso lautmalerischer unterstrich die Musik von Bogumił Misala das dunkele und absurde Stück Franz Kafkas

Seine Verhaftung, die erste Anhörung, seine Affäre mit Leni, der Besuch in der Kanzlei, die Unwissenheit über den Schuldvorwurf und über die Schuld selbst, werden im ersten und dritten Akt auf die Bühne gebracht. Der zweite Akt ist eine Reise in das Leben Kafkas und seiner Freunde. Felice Bauer, Grete Bloch und Max Bord. Franz Kafka sitzt auf einen thronartigen Stuhl und lauscht dem Gespräch seiner Freunde/Verlobten, bis er die Bühne durch das Publikum hindurch verlässt. Josef K. liegt auf einem der vier Betten. Auch hier wird die Frage der Schuld wieder aufgeworfen. Wer trägt die Schuld an der scheiternden Beziehung? Die Verzweiflung über diese Unwissenheit ist spürbar und beeinflusst das immer absurdere Verhalten der Figuren auf der Bühne. Der zweite Akt ist wohl der unerwartete Teil des Theaterstückes. Schon lange wird die Verbindung zu den Geschehnissen 1914 im Berliner Hotel „Askanischer Hof“, in dem ein Gespräch oder Aussprache zwischen Kafka, Felice Bauer und Grete Bloch stattfand und eine darauffolgende Entlobung, hinein interpretiert. Dieser Kontext wurde von Krytsian Lupa geschickt aufgegriffen.

Aber nicht nur deshalb ist das Stück kein reines abspulen, des im Buch vorgeschriebenen Textes. Das Werk wurde an die aktuelle Situation Polens angepasst, mit der auch Krystian Lupa in Konflikt geraten ist. Denn durch den Führungswechsel im Theater Polski in Wroclaw, wo er das Stück eigentlich inszenieren wollte, wurde ihm die weitere Arbeit an dem Stück verboten. Durch die Hilfe anderer Theater konnte das Werk nunmehr auf die Bühne gebracht werden. Und das persönliche Verhältnis Lupas ist deutlich zu spüren. Nicht selten sind die Anspielungen auf aktuelle Ereignisse in Polen, für die die rechte und konservative Regierung verantwortlich ist: die Aufweichung rechtstaatlicher Normen und die Selbstverbrennung eines Regierungsgegners im Oktober 2017 in Warschau.

Die Inszenierung verbindet meisterhaft Zeitgeschehen mit der Welt Kafkas und schlägt so eine Brücke vom absurden Roman in eine kafkaeske Gegenwart, für die die Verhältnisse in Polen lediglich exemplarisch aufgerufen werden.

Fantastyczny!

Text: Leah Strobel

Fotos: Magda Hückel